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I. Erstes Lustrum nach dem Frankfurter Frieden. 1117 So erhob sich ein Constict, der zunächst in Posen-Gnesen von dem hoch- müthigen „Primas von Polen" Erzbischof Ledochowski ausgehend sich bald über das ganze Königreich verbreitete und große Aufregung hervorrief. Denn in den strcngkatholischcn Gegenden, in Posen, Westfalen, Rheinland stand die Masse des Volks, Dank der langjährigen klerikalen Einwirkung auf Schule und Unter richt, auf Seiten der Geistlichkeit und der Bischöfe, deren Geboten sie eben so unbedingt folgte, wie diese den Machtsprüchcn Roms. Nur in den Kreisen der Gebildeten und in den Städten, wo man den wahren Sachverhalt verstand und sich nicht durch die sophistischen und verleumderischen Darstellungen einer fana- tischen Presse, einer zclotischcn Priesterschaft täuschen ließ, nahm man Partei für den Staat gegen den Episcopat. In diesen Kreisen gewann daher das altkatho- lische Glaubensbekenntniß mehr und mehr Anhänger. Da nun sowohl die Bi schöfe als die widerrechtlich ernannten Geistlichen fortfuhren, die Staatsgcsetze zu umgehen, ja geflissentlich ihren Widerstand öffentlich zu bezeugen, so war die Regierung gcnöthigt, bei den Gerichten Klage zu erheben. Diese aber erkannten den Gesetzen gemäß auf Geldbußen und schritten, wo die Geldmittel nicht zu- ' reichten oder die durch Pfändungen oder Temporalicnsperre zusammcngebrachten Zunnnen erschöpft waren, zu Gefängnißstrafen fort. So wurde nicht nur eine Anzahl renitenter Geistlichen, Pfarrer wie Capläne, welche unberechtigt kirchliche Handlungen vorgenommen hatten, durch Strafurtheile in Gewahrsam gebracht, sondern dasselbe Schicksal traf auch im Laufe der Zeit mehrere der ersten Präla ten, den Grafen Ledochowski, der durch seinen mit Ostentation zur Schau gestellten Trotz und Uebermuth die Staatsgewalt geradezu herausgefordert hatte, den Erzbischof Paulus Melchers von Köln, einen der eifrigsten Verfechter römischer Allgewalt, die Bischöfe von Paderborn, Trier und Münster. Die Art und Weise, wie diese Verhaftungen vorgenommen und ausgeführt wurden, war freilich nicht nach dem Sinne der hohen geistlichen Herren. Dem Martyrium wurde durch die einfache Vollziehung der Staatsgcsetze und Gerichtsurtheile sein ganzer Glanz entzogen, ein gewaltsames Einschreiten mit ergreifenden Auftritten und Sensatiottsscenen hätte mehr Eindruck gemacht. Aber so sehr ist der Begriff von der Autorität und Bedeutung des modernen Staats selbst in die unteren Bolkskreise gedrungen, daß die Abführung der hohen Gefangenen ohne Stömng vor sich gehen konnte. Nur eine kleine Zahl von Gläubigen aus den niederen Klassen betrauerte knieend und betend die neuen Märtyrer. Und doch ward der Ultramotttanismus nicht müde, in Presse und Vereinen über die „Diocletiani- schen" Zeiten zu jammern und zu zürnen, und auch der Papst klagte über die unge rechte gottlose Welt und pries seine getreuen Knechte ob ihrer Standhaftigkeit und Beharrlichkeit im Glauben. Da aber die Verhaftung den Gesetzen gemäß nur von kürzerer Dauer sein konnte, so mußte der Staat zur Erhaltung seines An sehens andere Strafmittel in Aussicht nehmen. Durch die Aufstellung eines obersten königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten war die Regie-