1116 L. Neueste Zeitgeschichte in ihrem äußeren Verlaufe. Menschen abhängig zu machen." Und doch sagte der Heiland: „Mein Reich iß nicht von dieser Welt!" Freilich mußten die Bischöfe gewärtig sein, daß die preußische Regierung nicht ruhig ihrem trotzigen Gebühren zusehcn, daß ihr« Weigerung, den Gesetze» zu gehorchen, Geld- und Gefängnißstrafcn auf dem Fuße folgen würden; aber bei der Humanität des von der päpstliche» Eohorü so arg geschmähten Zeitalters durfte man auch erwarten, daß das Martyrium nicht allzuhart sein werde. Nichtsdestoweniger war der Vergleich der gottlosen Welt der Gegenwart mit den Neronischen und Diocletianischcn Christenverfol- gungen ein zu günstiges Thema, als daß man dasselbe nicht zur Unterlage ele gischer Klagelieder und aufreizender Ergüsse hätte machen sollen. So kamen denn die salbungsvollen glcißnerischeii Phrasen und Declamationen, an weiche der „Cnrialstil" die Welt gewöhnt hatte, und die Schmähungen und Jnvcctivcn einer zelotischen Presse in vollen Gang. Die Wahrheit verhallte oder blieb ver borgen unter dem Wuthgcschrei der Faction. Machst- Wir. Die Wirkungen der Maigesctze und der klerikalen Opposition gegen dieselben traten bald zu Tage. Als die Regierung eine Prüfung der geistlichen Lehran stalten anordnete, um sich zu überzeugen, ob die wissenschaftliche» Leistungen in den nicht zur Theologie gehörenden Fächern der Art seien, daß dieselben mit drn Lehranstalten des Staats wetteifern und als Vorbildungsschulen fortbestchen könnten, verweigerten die geistliche» Vorsteher, den Weisungen der Bischöfe fol gend, den Jnspectoren der Regierung Einsicht in die Lehrpläne und in den inne- ren Organismus des Unterrichts. Nur in die äußeren Räumlichkeiten wollten sie den Einblick gestatten. War ja doch der Zweck dieser Seminarien, die künf tigen Kleriker gegen die moderne Wissenschaft abzuschließen, sie in einem Ideen- kreise festzuhalten, wie er den ultramontanen Interessen und der päpstlich-hierar chischen Autorität dienlich war; wie sollte man nun die profanen Augen der Staatsbehörden in das priesterliche Heiligthum, in die geistlichen GeheünnO eindriugen lassen? Die nächste Folge war, daß diesen Seminarien die Staats mittel entzogen, manche davon auch geschlossen wurden. Noch auf einem an dern Feld gab sich der trotzige Widerstand der Bischöfe gegen die Maigesctze kund. Es war ihnen zur Pflicht gemacht, von jeder Ernennung zu einer Pfarrstclle oder zu einein Beneficium dein Obcrpräsidenten der Provinz Anzeige zu erstatten und abzuwarten, ob dieser innerhalb eines bestimmte» Zeitraums keinen Einspruch einlege. Auch dieser Verordnung weigerten sich die preußischen Bischöfe nachzu- kommcn, obwohl in den meisten andern Staaten dieser Gebrauch von jeher be standen und von den Ordinariaten befolgt worden war. Ja in Baiern wurde nicht blos die Bestätigung, sondern die Ernennung im Namen des Königs er- theilt. Als nun die Bischöfe fortfuhre», erledigte Pfarrstellen eigenmächtig und ohne vorherige Mittheilung an die Regierungsbehörden zu besetzen, untersagten diese den so Ernannten die Ausübung gottesdienstlicher Handlungen und ent zogen ihren pfarramtlichen Verrichtungen jede bürgerliche Gültigkeit.