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1112 II. Ncuestc Zeitgeschichte in ihrem nutzeren Verlaufe. gegenüber den Bauernschaften und Gemeinden zu mindern drohten. Nun be absichtigte die Regierung, die östliche» Provinzen des Königreichs, wo diese Reste der Feudalzeit, diese privilegirte, patriarchalische Ausnahmestellung des grundhcrr- lichcn Landadels und die bureaukratische Bevormundung noch am »leisten in Gel tung bestanden, im Sinne der Selbstverwaltung und bürgerlichen Gleichheit in eine Verfassung zu setze», daß sie hinter den westliche» Provinzen und den ander» Staa ten des südlichen und mittleren Deutschland in staatsbürgerlicher Freiheit nicht zu rückständen, mit den Entwickelungsstufen, welche daS öffentliche Leben anderwärts erstiegen, in Uebcreinstimmung treten möchten. Zu dem Ende arbeitete die Re gierung den Entwurf einer neuen Krcisordnung aus, welche die Reformen des Frciherrn vom Stein vervollständigend die freie Bewegung der communalen Verbände fördern, das Volk zur Bctheiligung an der Verwaltung seiner Angelegen heiten heranziehen, die bureaukratische Bevormundung durch das „Selfgovern ment" erfrischen und die Willkür der Beamten durch gesetzliche Vorschriften be schränke» sollte. Diese neue Kreisordnung, welche die Grundlage einer künftigen gleichmäßigen Organisation aller Provinzen bilde» sollte, wurde vom Hause der Ur, Abgeordnete» mit großer Mehrzahl angenommen; aber im Herrenhause, wo „dem alten und befestigten Grundbesitz" eine über seine Bedeutung hinausgehcndc Vertretung eingeräumt war, trat der feudale Adel wie eine geschlossene Phalanx den Regierungsvorlage» schroff entgegen, so daß diese nicht durchgcbracht werden konntcil. Nach langen erregten Debatten, wobei die Feudalen mit leidenschaft licher Verbissenheit für ihre Standcsintcressen in die Schranken traten, weder den persönliche!! Wunsch des Kaisers, noch das Staatswohl bLachtend, wurde der 22.0-tbr. Reformplan mit großer Mehrheit zurückgewiesen. Da griff die Regierung zu einem Mittel, das manches Bedenkliche hatte: sic berief fünfmidzwanzig neuc Mitglieder in das Herrenhaus, mit deren Beihülfe die Vorlage die gesetzliche i. Dc-tr. Mehrheit erhielt und die neue Kreisordnung in Kraft treten konnte. Durch diesen „Pairsschub", einen Staatsstreich im Kleinen, zu dem König Wilhelm nur mü Mühe bewogen'werden konnte, wurde die Macht des Junkerthums, zugleich aber auch das Ansehen des Herrenhauses gebrochen. Schon damals riethen nam hafte Stimmen zu einer durchgreifenden Reform dieses Factors der gesetzge benden Macht, durch zweckmäßigere, den Machtverhältniffen des Adels und Herrcnstandcs mehr entsprechende Zusammensetzung, eine Reform, die mit der Zeit unabwcislich sein wird. Sp«ui°»°ns, Auch auf andern Gebieten des Staats- und Gesellschaftslebens traten s-ünd«. Mißstände hervor, die Abhülfe verlangten. Schon seit Jahren war durch die wachsende Gründungs- und Speculationssucht einzelner Unternehmer und Ge sellschaften große Unsicherheit in die Geschäftswelt gekommen und mancher Un erfahrene und Leichtgläubige in Armuth und Vermögensruin gerathen. An den Namen Stroußberg knüpften sich traurige Erimierungen. Nach dem französischen Krieg war, nicht ohne Mitschuld des Goldstroms der Milliarden, der Unter-