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I. Erstes Lustrum nach dem Frankfurter Frieden. 1099 Innen Agitationen, welche die Leidenschaften des Volkes gegen diese kirchliche Parteilosigkeit und Duldsamkeit der Staatsrcgicrung aufzureizen suchte», auf dem Rechtswege entgegen treten zu können, wurde im nächsten Reichstag auf Anregung von Baiern dem Strafgesetzbuch ein Zusah bcigefügt, welcher dcn^-. >»l. Mißbrauch des geistlichen Amtes und der Kanzel zu politischen Wühlereien, die den öffentlichen Frieden gefährden, mit Gefängnißstrafe bis zu zwei Jahren be droht. Den Auslastungen der Klerikalen über solche Beschränkung der „Frei heit" wurde mit Recht entgegengehaltcn, nicht die Freiheit werde dadurch be schränkt, sondern nur das von der Geistlichkeit usurpirtc Vorrecht, ungestraft den öffentlichen Frieden zu stören und Gesch und Obrigkeit zu schmähen. Seit Jahr zehnten hatte die römische Pricsterpolitik die Staatsgewalt zersetzt und lahm ge legt; jetzt wurde man mit Bestürzung gewahr, daß sich die Papstkirche zu einem organisirtcn Gcgcustaat ausgebildet, „der mit tausend und abertausend Polypenarmen den Körper der Gesellschaft umklammert hielt", daß die katho lische Wcltkirche mit ihrem auswärtigen Obcrhaupte und mit ihrer streitfertigen geistlichen Miliz den weltliche» Nationalstaaten die Lebensadern unterbunden habe und jede freie Entwickelung, jeden Ausbau zu einem selbständigen Orga nismus mit eigener Gesetzeskraft zu verhindern suche. Die Hauptführer dieser hierarchischen Politik gingen aus jenem Orden hervor, der seit drei Jahrhun derten das friedliche Zusammenleben der Confcssionen gestört hat, dessen Haupt tendenz auf die Begründung einer theokratisch-priestcrlichcn Weltordnung, auf die Universalherrschaft des Papstes gerichtet war. Es war daher ganz natür lich, daß in allen nationalen und freisinnigen Kreisen katholischen wie protestan tischen Bekenntnisses auf Entfernung der Jesuiten aus dem deutschen Reiche ge drungen ward. Die „Gesellschaft Jesu", die auf dem römischen Concil den Ausschlag gegeben, deren Geist die Curie und den Episcopat durchdrungen hatte und beherrschte, war unverträglich mit einem Staatswesen, welches das bürger liche und gesellschaftliche Leben nach eigenen Gesetzen ordnen, der Freiheit der Gewissen Geltung verschaffen, der wissenschaftlichen Forschung eine Ringbahn und Freistätte gewähren, Vernunft und Intelligenz in die seiner Leitung unter stellte Schule einführen wollte. Auch im Jahre 1872 hielt die auswärtige Politik des Fürsten Bismarck »usw«,iz« die angcdeuteten Zielpunkte fest im Auge: durch standhaftes Beharren bei den NnÄ' Bestrebungen des Völkerfriedcns sollte den andern Regierungen Vertrauen ein- geflößt, sollten die Regungen des Neids und der Mißgunst verscheucht, zugleich aber auch durch Verbesserung, Ergänzung und Stärkung der eigenen Wehrkräfte die Ueberzeugung geweckt werden, daß das neue preußisch - deutsche Reich feind liche Angriffe zurückzuweisen im Stande sei; daß cs nicht aggressiv vorgehen, aber auch nicht vertrauensselig und unthätig einer ungewissen Zukunft zusteuern wolle. Vor Allem war eine solche Haltung gegenüber Frankreich geboten: wäh rend man in Berlin bemüht war, der Versailler Regierung die große Aufgabe