L. Die neueste Zeitgeschichte in ihrem äußeren Verlaufe. I. Das erste Lustrum nach dem Frankfurter Frieden. 1. Das deutsche Reich und Preußen. R ich und Einst war das deutsche Reich das Herz des europäischen Völker- und nd^-rsteStaatenorganismus, in welchem das gcsammte öffentliche Leben pulsirte, dcr deutsche Kaiser das Haupt unter den gekrönten Scepterträgern. Auf vielen Blättern dieses Werks ist nachgewiesen worden, wie dieser Reichskörper durch eigene und fremde Schuld in Schwäche gerieth und endlich eines gewaltsamen Todes starb. Seitdem haben nicht nur die entfernteren Glieder der europäische» Völkerfamilie alle Bande der Pietät für das ehemalige Haupt gelöst, sondern die deutsche Nation selbst hatte das traurige Geschäft der eigenen Verstümmelung an sich vollzogen und sich dadurch in solche Schwäche und Ohnmacht gestürzt, daß die Kraft und Fähigkeit der Selbsterhaltung und Selbstvertheidigung immer mehr dahinschwand und sie die Gewaltsamkeiten wie die Mißachtung der ander» Völker über sich ergehen lassen mußte. Diesen verstümmelten, zerschlagenen Körper wieder zu einem lebendigen Organismus zu erwecken und zu beseelen, war seit Jahrzehnten das Bestreben aller deutschen Patrioten gewesen, und wie manches brave Herz ist über den vereitelten Versuchen gebrochen! Ein großer histo rischer Moment hat das Reich unerwartet wie durch eine schöpferische Naturgewalt ins Dasein gerufen. Dieses Ereigniß wurde von der Welt mit verschiedenartige» Gefühlen aufgenommen, zumal da es zusammentraf mit der Auflösung der welt lichen Macht des Papstthums (S. 953), das in früheren Jahrhunderten an der Zersetzung und Spaltung der deutschen Völker und Stämme so thätig mitgcwirkt hatte und Ursache war an dem militärischen Fall der französischen Nation, die so lange für die erste Kriegsmacht Europa's gegolten. Das Ausland sah mit Neid und Mißgunst auf die in der Mitte Europa's emporgewachsene Großmacht, durch welche der Schwerpunkt aller europäischen Dinge plötzlich verrückt wurde, und