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94 Zwischen zwei Revolutionen. Casimir Justemilieu ».Opposition. für das Volk, Nichts durch das Volk!" Die eigentlichen Staatsmänner nach dem Herze» des Königs waren jedoch Montalivet und Mols, allzeit dienstfertige Vollstrecker der Willcnsmeinung ihres Herrn, der sie daher so oft als möglich in seinen hohen Rath berief. — Louis Philipp liebte es, wenn man den Gang der französischen Ereignisse mit dein der englische» z»sammcnstellte »nd daraus die Folgerung zog, daß das Orleans'sche Regentenhaus auf gleiche Dauer rechne» könnte, wie das englische Königthum seit 1688; aber Wilhelm von Oranic» hatte nicht wie Louis Philipp die Freiheit und die Gerechtsame seines Landes seinen dynastischen Interessen geopfert. Die Juliregierung dachte am sichersten das Staatsschiff durch die drohende» Stürme und gefährlichen Klippen lenken zu können, wenn sie keiner der großen Parteien, in die damals die europäischen Völker geschieden waren, sich anschließe, sondern einen Mittelweg wähle, auf dem dann die Gemäßigten von beide» Seiten sich vereinigen würden. Die leitenden Minister, an ihrer Spitze Casi mir Perier, der Nachfolger Laffitte's, ein strenger Verfechter der Gesetzesauto rität, bildeten daher das System der rechten Mitte (Justemilieu) ans und stellte» es als Richtschnur ihres Handelns auf. Sie näherte» sich de» Grundsätzen der älteren Staatsmänner, die man schon während der Restauration als Doktri näre bezeichnet hatte, und zogen sich den Borwurf zu, daß ihre Staatsweisheit nicht auf dem wirklichen Leben und der praktischen Anschauung der Zeitverhält nisse, sondern auf selbstgeschaffenen Theorien, auf vorgefaßten Meinungen und Ansichten, auf berechneter Unterlage beruhe. Ihre Herrschaft fand bald Wider spruch und unternehmende Gegner. Zuerst regten sich die Legitimisten im Ver trauen auf die Macht des mit ihnen verbundenen Klerns. Aber noch war der Haß gegen die Bourbons zu frisch, als daß die Pariser Demokratie, die Arbeiter, die Studenten und Polytechniker, die revolulionslustigc Menge eine solche öffent liche feindselige Kundgebung gegen die „große Woche" hätten ruhig geschehen lassen sollen. Das Aufpflanzen der weißen Fahne in der Kirche St. Germain l'Auxerrois am Todestage des Herzogs von Berry, erregte einen heftigen Auf stand, in'Folge dessen nicht blos das Innere der Kirche mit allen Bilder», Ge- räthen, Onmmenten demolirt und wie in der Conventszeit Hohn mit den Prie stergewändern und den kirchlichen Gegenständen getrieben ward, sondern auch der Palast und das Landhaus des Erzbischofs verwüstet und zerstört, das Haus- geräth in die Seine geworfen wurde. ?°n B»Äü die Anhänger der alten Monarchie hielten an der Ueberzeugnng fest, der Bend«, „daß auch die Freiheit nur dann in Frankreich blühen und den Stürmen trotze» könne, wenn sie aus dem kräftigen Stamm der geschichtlichen Ueberlieferung her auswachse, deren tiefe Wurzeln sich in der Erinnerung der Menschen verloren". Sie setzten ihr Vertrauen auf die getreue Vendee, die in früheren Jahren für die königliche Sache so viel gethan und gelitten hatte, und auf den Süden, wo einst die Royalisten im „weißen Schrecken" ihren Rachedurst gestillt. Die Seele des