VI. Der deutsch-franz. Krieg u. das neue deutsche Reich. 1057 Volk und seine Fürsten dargebotcn, annchme. Vom 1. Januar des kommen den Jahres sollte sie in Wirksamkeit treten. Die feierliche Uebernahme aber er-in?"' folgte erst am 18. Januar, als dem Tage, an welchem vor cinhundcrtundsiebzig Jahren des neuen Kaisers Vorfahr Friedrich I. sich in Königsberg die preußische Königskrone aufs Haupt gesetzt und damit den Grund zu der wachsenden Größe des Hauses gelegt hatte. Es war ein unvergeßlicher Act, als in dem glänzenden Spiegelsaal des^st-»»» Versailler Schlosses, wo seit den Tagen Richclicu's so viele Pläne zur Ernicdri. gung Deutschlands gefaßt worden und so viele bildliche Darstellungen an die Zeiten der Schmach und der Zerrissenheit der deutschen Nation und die glor reichen Thatcn Frankreichs erinnerten, König Wilhelm sich zum deutschen Kaiser ausrufen ließ. Im Schloßhofe hielt das 7. Königsgrenadicr-Regiment, das beim Sturm auf Weißenburg zuerst den feindlichen Boden betreten, mit seinen von Kugeln durcblöcherten Fahnen die Ehrenwache. Andere preußische und deutsche Fahnen schmückten den herrlichen Marmorsaal, wo in Gegenwart vieler fürstlichen Persönlichkeiten, militärischer Würdenträger, Offiziere aller Grade und auserlesener Mannschaften die Feier vorgenommen wurde. Den Eingang bildete eine Predigt über den Tert M 21.): „Du überschüttest ihn mit Segen und setzest eine goldene Krone auf sein Haupt. Groß ist sein Ruhm durch deine Hülse, Würd' und Hoheit legest du auf ihn. Du machest ihn zum Segen für und für; denn der König vertrauet auf den Herrn. Sie gedachten dir Ueblcs zu thun und machten Anschläge, aber sie konnten sie nicht ausführen." Darauf schritt der vierundsiebzigjährige König frisch und rüstig wie ein Jüngling auf die Estrade zu, verkündete mit bewegter Stimme, daß er die ihm dargcbotcne Kaiser krone annehme, und ertheilte dann dem Kanzler Bismarck den Befehl, die Prokla mation an das deutsche Volk zu verlesen. Dieses denkwürdige Actenstück lautet: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden König von Preußen verkünden hiermit: Nachdem die deutschen Fürsten und freien Städte den einmüthigcn Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn sechszig Jahren ruhende Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorher gesehen sind, bekunden Wir hiermit, daß Wir es als Pflicht gegen das gesammte Vaterland betrachten, diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und freien Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürdc auzunehmen. Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger in der Krone Preußens fortan den Kaiscr- titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segens reichen Zukunft entgegen zuführen. Wir übernehmen die Kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahre», die Unabhängigkeit Deutsch- Webrr, W-lrgkschichtt. XV. ß7