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90 Zwischen zwei Revolutionen. ohne politische und moralische Autorität, war das Oberhaus der Julidynast» wie einst der kaiserliche Senat ein willenloses Werkzeug und diente der RcgieruH säst nur als außerordentlicher Gerichtshof für Staatsverbrechen. ^nachn2m Vertrauen auf die Lenkbarkeit der Volksrcpräscntantcn begründete nu»' t'"» mehr Louis Philipp im Laufe der Jahre jenes System der Selbstsucht, des Eigennutzes, der Käuflichkeit und der moralischen Vcrderbniß, das man so viel' fach als tiefe Staatsweisheit bewundert und gepriesen hat. Er entfernte si^ immer mehr von den Urhebern der Julircvolution und umgab sich mit Leuten, die seinen Willen vollzogen, seine Pläne ausführtcn, seinen dynastischen I»' teressen dienten. Bei der Reorganisation der Bürgermchr wurde die Abschaffung des Obercommandos über sämmtliche Nationalgarden Frankreichs beschlossen Nur die Pariser Bürgerwchr sollte in Zukunft unter Lafayctte's Befehl stehe». Dies kränkte den „Veteranen der Freiheit«, der noch kürzlich im Luxembourg de» Gerichtshof und die angeklagten Bourbonischen Minister gegen die nach Rächt schnaubende Volkswuth geschützt hatte, so sehr, daß er seine Entlassung cinreichit und von einer Stellung zurücktrat, welche die Geschichte mit seinem Namen uN' auflöslich verknüpft hatte. Dem „Patriarchen der Revolution", dem „Heide» zweier Welten", der nur im Besitze der Macht und der Volksgunst sich wohl bc' fand, ging dieser Fall so zu Herzen, daß er sich schmollend vom öffentliche» Leben zurückzog, verstimmt, daß die neue Ordnung, deren Begründer er ge' wesen, nicht mehr seine Autorität gelten lassen wollte. Dem König und der Regierung entfrenidet und mit dem Gange der Politik unzufrieden, starb er ai» 20. Mai 1834, alt und lebensmüde, aber bis an sein Ende von der Volksgut getragen. Nach Lafayctte's Rücktritt vom Generalcommando der National' garde legten mehrere Minister, fortschrittlicher oder republikanischer Richtung, darunter Dupont de l'Eure, ihre Stellen nieder, und bald sah sich auch Laffitte, dessen schwankende Haltung zwischen conservativen und liberalen Tendenze» gegenüber den wachsenden Schwierigkeiten der inneren und äußeren Lage nicht mehr genügte, dessen gesellschaftliches Ansehen durch die Zerrüttung seines Ver' mögens gesunken war und der den Volksbewegungen in Paris und der revolu' tionären Propaganda in den Grenzlanden nicht strenge genug entgegentrat, i» März hie Nothwendigkcit gesetzt, seine Entlassung zu begehren. Die nächste Veranlaß sung zu seinem Rücktritt gab die Vorenthaltung einer wichtigen Depesche av§ Wien über die italienischen Angelegenheiten durch den König und den Ministe» des Auswärtigen. Mit äußerlichem Bedauern aber frohen Herzens ertheilt» Louis Philipp dem alten Freunde den Abschied. Laffitte aber rief in der Bitte»' keit seines Herzens „Gott und die Menschen um Verzeihung an für die Mit' schuld an der Gründung des neuen Königthums". Sein Nachfolger als veravt' wörtlicher Ministerpräsident wurde Casimir Psri er aus Grenoble, ein vate»' ländischer Mann von lebhaftem Temperament, festem Charakter und gemäßigte» Gesinnung, dein Reichthum, Bildung und eine geachtete Familientradition i»