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VI. Der deutsch-franz. Krieg u. das neue deutsche Reich. 1023 Fortschritt, von Innen ein Erlahmen der Widerstandskraft sich bemerkbar machte. Durch die Ausdehnung der Forts war man deutscherseits gcnöthigt, sich in solcher Entfernung zu halten, daß eine Beschießung der Stadt selbst anfangs unthunlich schien; eine Erstürmung der Außcnwerkc aber war voraussichtlich mit solchen Opfern verbunden, daß das menschenfreundliche Gcmüth des Königs sich dagegen sträuben mochte. Es mußten Geschütze von größerer Tragweite und Wirkungs kraft aus Deutschland herbcigcschafft werden; aber bei den unterbrochenen Eisen bahnlinien, namentlich, seitdem cs dem Feinde gelungen war, den langen Tunnel von Nanteuil mittelst Sprengung des gemauerten Gewölbes nebst einem Theil des darüber gelagerten Hügels zu verschließen, so daß neue Schienen ui» den Berg herum gelegt werden mußten, und bei der Größe der Bclageruugsmaschinen war der Transport mit solchen Schwierigkeiten verbunden, daß darüber viel Zeit verloren ging und der Belagcrungskrieg sich im ermüdenden Einerlei des Wachc- dicnstes und der Erdarbeitcn hinzog, eine anstrengende Kriegführung, gefahrvoll für Gesundheit und Leben der Soldaten. Vielleicht trug man auch deutscher Scits Bedenken, die Stadt Paris, die so Viele als die „Metropole der Civilisa- tion" ansahen, den Wechselfällen eines Bombardements auszusetzcn, durch welche alle Anstalten und Werke der Kunst, der Wissenschaft, der geschichtlichen Ver gangenheit ihren Untergang hätten nehmen können. Fanden doch die Declama- tionen der Franzosen über den Vandalismus der nordischen Barbaren nur zu viele gläubige und zustimmende Herzen im Auslande. Man mochte auch im Hauptquartier zu Versailles der Ansicht sein, die Regierung der nationalen Ver- thcidigung würde in Anbetracht der Nothstände, welche die Fortsetzung des Krie ges in Frankreich schaffen müßte, und der Verantwortlichkeit, die sie auf sich lud, zu der Einberufung einer Nationalvertretung schreiten, mit der man über einen Frieden unterhandeln könnte, oder Mangel an Nahrungsmitteln würde zu einer Kapitulation zwingen. Diesen Anschauungen gab ein an den preußischen Ge sandten in London gerichtetes Schreiben Bismarck's und eine Denkschrift über die^o-tb-. Folgen der Belagerung Ausdruck. In dem ersteren wird unwiderleglich dargethan, daß deutscher Seits Alles ge schehen sei, um die Vornahme freier Wahlen zu einer constituirenden Versammlung in Frankreich zu ermöglichen; daß man bereitwillig die dargebotcne Vermittelung „ange sehener, einer neutralen Nation angchörender Persönlichkeiten" angenommen habe, daß aber alle Vorschläge bei der Pariser Regierung eine solche Aufnahme gefunden hätten, daß die vermittelnden Persönlichkeiten sder nordamcrikanische General Burnside) selbst erklärten, nunmehr die Hoffnungen aufgeben zu müssen, die sie gehegt hätten. „Unmit telbar nachher verließ Herr Gambetta Paris mittelst eines Luftballons, und sein erster Ruf, nachdem er den Erdboden wieder erreicht hatte, ist nach französischen Quellen ein Protest gegen die Vornahme von Volkswahlen gewesen". Indem die Depesche im wei teren Verlauf die Bemühungen des englischen Cabincts für Herstellung eines Friedens zwischen den beiden kriegführenden Nationen dankbar anerkennt, wird mit diplomati scher Höflichkeit bemerkt, daß diese Versuche in erster Linie bei der französischen Regie rung anzustcllen seien, von welcher die Initiative zur Anbahnung von Friedensvcr-