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VI. Der deutsch-franz. Krieg u. das neue deutsche Reich. 999 geführt und in jene ferne» Städte und Festungen untcrgebracht, in die sie als Sieger cinzuzichcn sich vermessen hatten. Wie schrumpfen jene viel berüchtigten Lapitulationen von Ulm, Prenzlau, Baylen, Bilagos zusammen, im Vergleich mit der Capitulation von Sedan, welche den Kaiser und die ganze Gloirc der kricgsstolzcn französischen Nation in deutsche Gefangenschaft lieferte! Endlose Eiscnbahnzüge muhten Tag und Nacht in Thätigkcit gesetzt werden, um die entwaffneten, demoralisirten, zusammcngcbrochenen Kricgsschaarcn auf die deutsche Erde zu schaffen. Mit welchen Gefühlen mögen die Gefangenen auf den Rhein geblickt haben, den sic so gerne als einen französischen Fluß bezeich neten ! In Zukunft wird dieser stolze Strom wohl für immer ihren Blicken entzogen werden. Französische Adler werden nie mehr in seine grüne Fluthcn schauen! In Paris wurde die wahre Lage der Dinge entstellt oder verheimlicht. Während die Regierung die aufgeregten Gemüther der Deputaten durch bcruhi- F--n!mch. gende Nachrichten zu beschwichtigen suchte, im Orakelton von einem großen Plan sprach, der nicht vcrrathcn werden dürfte, der aber sicher den Sieg an die fran zösischen Fahnen knüpfen würde; ergingen sich die Zeitungen in den tollsten Wuthausbrüchcn über die barbarischen Horden, die den heiligen Boden Frank reichs zu besudeln wagten, schilderten die Kämpfe um Metz als Siege der fran zösischen Waffen und verkündigten dm Tag als nahe bevorstehend, wo man die „Invasion" abtreiben und den Feind über den Rhein zurückschlagen würde. In Zeiten kriegerischer Erregung werden die öffentlichen Organe stets die VolkSstim- mung und die Leidenschaftlichkeit des Augenblicks abspiegeln, stets den Ansichten und Gefühlen, wie sie mit instinctivcr Gewalt in die Gemüther eindringen, Worte und Ausdruck geben; allein die französischen Tagesblätter ergingen sich in solchen Schmähungen gegen die Deutschen, stachelten in so aufreizenden, von groben Insulten strotzenden Reden und Jnvectiven das Volk zu Haß und tödtlicher Feindschaft auf, und verbanden zugleich mit den Lästerungen solche Lügenhaftigkeit, solche prahlerische Selbstüberhebung, solche Mißachtung aller Wahrheit und alles Anstandes, daß man darin keine Spur mehr von jener Ur banität, von jener geselligen Bildung, von jenen chcvalcresken Umgaugsformcn tvahrnahm, welche sonst der Stolz der französischen Nation gewesen waren und in ihrer eigenen Vorstellung und in den Augen so vieler Menschen den Anspruch ihrer „civilisatorischen Mission" zu rechtfertigen schienen. In einigen Blättern herrschte ein Ton, wie er seit den Sansculottenzeiteu in gebildeten Kreisen nicht wehr gehört worden war. Zunächst richtete sich die Wuth auf die in Paris und in allen Handels- und Industriestädten Frankreichs seßhaften Deutschen, die man in der inhumansten Weise zur Auswanderung zwang. In einer Zeit, da man mehr als je beflissen war, die internationalen Schranken nicdcrzureißen, die europäischen Länder durch Verträge zu einer großen Vöikcrfamilie zu vereinigen, die menschliche Gesellschaft durch die Gemeinsamkeit der Interessen auf allen Ge-