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998 I). Bon Errichtung des zweiten franz. Kaiserthuins re. Ducrot machte von dieser Vergünstigung Gebrauch, erschien auch zur festgesetzten Zeit in Pont-ä-Mousson; als aber die Abführung nicht sofort vor sich gehen konnte, entwich er »ach Paris, indem er annahm, mit der Meldung von seinem Eintreffen der Verpflichtung genügt zu haben. Die sophistische Rechtfertigung dieses unritterlichen Schrittes, die er in der Folge bekannt machte, vermochte die Schmach des Wortbruchs nicht ansznlöschcn, das verblichene Ehrgefühl nicht hcrzustellc». Vielleicht war die Versicherung Napoleon's, daß er den Tod auf dm Schlachtfelde gesucht, aber nicht gefunden habe, keine Phrase, wenigstens war das Schicksal des von körperlichen Schmerzen und Scelcnlcidcu schwer heim- gesuchten Mannes so ernst und tragisch, daß zur Heuchelei kein Raum war, und daß er sich persönlichen Gefahren ausgesetzt, ward von verschiedenen Seiten be hauptet. Erst in der Folge wurde ihm die Acußerung in den Mund gelegt: „der Tod in der Schlacht sei schön — in der Poesie". Mit dem gespannteste» Interesse vernahm man in Deutschland die Berichte über den Hergang bei seiner Ergebung: wie er begleitet vom Grafen Bismarck zunächst in einem kleinen ärmlichen Arbciterhause am Wege nach Donchery abstieg; wie er dann, mit dm deutschen Staatsmaune auf eine steinerne Bank vor der Thür sich setzend, dem selben sagte, er selbst habe den Krieg nicht gewollt, sei aber durch den Druck der öffentlichen Meinung in Frankreich zu dem Waffengang gedrängt worden; mie dann beide nach dein Schlößchen Bellevue bei Frenois sich begaben, wo König Wil helm und der Kronprinz sich einfandcn und jene Unterredung gehalten ward, vo» der ein Telegramm an die Königin Augusta berichtete: „Welch ein ergreifender Augenblick, der der Begegnung mit Napoleon! Er war gebeugt, aber würdig in seiner Haltung und ergeben. Ich habe ihm Wilhelmshöhe bei Kassel zur» Aufenthalte gegeben. Unsere Begegnung fand in einen, kleinen Schlößchen vor dein westlichen Glacis von Sedan Statt." Die Besichtigung der deutschen Ar- mee, welche darauf der König vornahm, die erhebenden Dankcsworte, die er de» vereinigten Truppen und Führern aussprach, und der begeisterte Empfang, de» der greise Kriegsherr allenthalben fand, bildeten einen ergreifenden Contrast z» den Semen des Elends, des Jammers, der Unordnung, die sich dem Blicke i» Sedan darboten, wo die Luft verpestet war, so daß cs wochenlanger Rcinigungs- arbciten bedurfte, um den Ort für Menschen wieder bewohnbar zu machen, zu der Verwilderung, Zuchtlosigkeit und thierischen Versunkenheit, zu denen Hunger, Unbotmäßigkeit und Verzweiflung die französischen Soldaten in diesem Momente des Untergangs geführt! Noch niemals war einem Kriegsheer, das noch vor wenigen Tagen im rühmlichen Kampfe unter den Waffen gestanden, solche Schmach geboten worden! Den späteren Geschlechtern wird es wie eine Aus geburt mythenbildender Volksphantasie erscheinen, daß ein greiser König, dc» man im Uebcrmuth hcrausgefordert, sich mit seinen Bewaffneten ausgemacht den Beleidiger sammt seinem ganzen Kriegshcer im eigenen Lande gefangen weg-