Volltext Seite (XML)
PROGRAMMEIN FÜHRUNG In der Kantate werden, wie der Name besagt (Kan tate = Singstück), mehrere Gesangstücke, die ihrem Inhalt nach zusammengehören, aneinandergereiht. Sie ist also das vokale Gegenstück zur instrumen talen Suite. Man unterscheidet Solo- und Chor kantaten, je nachdem die Gesänge nur von einer Solostimme (mit Begleitung des Orchesters) oder auch von einem Chor ausgeführt werden. Im Schaffen Johann Sebastian Bachs nimmt die Kantate einen breiten Raum ein. Von den insgesamt wohl 395 Kirchenkantaten sind uns rund 200 erhalten, dazu kommen noch ungefähr 20 weltliche Kantaten, mit denen sich Bach manchmal geradezu der Oper nähert. Die Solokantate für Altstimme „Ver gnügte Ruh, beliebte Seelenlust" gehört zu jenen Kantaten aus der Leipziger Zeit, in denen die Orgel obligat, also selbständig und nicht nur als Be gleitinstrument verwendet ist. Die erste Sinfonie Anton Bruckners war in Linz aufgeführt worden, ein äußerer Erfolg, von dem die Musikwelt jedoch keine Notiz nahm. Es wurden ge nug zweiflerische Stimmen laut, die den allzubeschei denen Komponisten tief beeindruckten und ihn sogar daran zweifeln ließen, ob er wirklich zum Sinfoniker berufen sei. Da kam die Berufung nach Wien nicht unrecht. Simon Sechter, Bruckners Lehrer, war 1867 gestorben und man konnte sich keinen würdigeren Nachfolger denken. Er hatte freilich viele Bedenken und mußte von allen Seiten, vor allem von Herbeck, dem hervorragenden Dirigenten, überredet werden, das Amt anzunehmen. Am 6. Juli 1868 erhielt Bruck ner das Anstellungsdekret als Professor für General baß, Kontrapunkt und Orgel am Wiener Konserva torium. Am 1. Oktober trat er sein neues Amt an. Er wurde in Wien nicht unfreundlich aufgenommen. Im Ausland hatte er stürmischen Erfolg als Orgelspieler und Improvisator, in Paris, in London und in Linz wurde seine e-moll-Messe aufgeführt. Das machte ihm wieder Mut und so schrieb er eine neue, die 2. Sinfonie. Er nahm sich vor, nach den Erfahrun gen mit der ersten Sinfonie, die namentlich im Finale eine Anhäufung von kontrapunktischen Künsten ist, einfacher zu schreiben. Um die neue Sinfonie recht übersichtlich zu machen, grenzte er die einzelnen Ab schnitte durch Generalpausen voneinander ab. Das trug ihr den zunächst boshaft gemeinten, aber sach lich nicht unberechtigten Titel „Pausensinfonie“ ein. Wie Bruckner diese Pausen verstanden haben wollte, hat er selbst am schönsten erklärt: „Wenn ich etwas Wichtiges zu sagen habe, muß ichvorherÄtem holen". Und er hatte immer Wichtiges zu sagen. So fängt er den ersten Satz mit einem Hauptthema an, das an weitgeschwungener Linie seinesgleichen in der ganzen Sinfonie-Literatur sucht, ein vierundzwanzig Takte langes Thema im Violincello, dessen bang fragender Charakter durch die Einwürfe des Horns noch ver stärkt wird. Demgegenüber birgt das nach der ersten Generalpause einsetzende Gesangsthema mit seiner Volksliedsüße Trost und Stärkung, Erinnerung viel leicht an die Heimat, ein Doppelthema, sich wiegend in den Geigen, groß ausholend in den Celli, und schließlich in die Tonart hinübergleitend, die bei Bruckner immer Wärme und Inbrunst bedeutet: Ges-dur. Sehr bald wird mit einer Zurückleitung nach Es-dur der Einsatz des dritten Themas erreicht, wieder ein Doppel thema, in den Streichern ein Thema, das an die von Bruckner damals viel gespielte g-moll- Fuge von Johann Sebastian Bach anklingt, dazu eine Gegenmelodie in den Holzbläsern. Eine General pause macht auf das Nahen der Durchführung auf merksam, die nach sechs Takten eintritt: das Horn wiederholt seinen Einwurf in das Hauptthema, das nun nicht wie in der Exposition im großen Zu§, son dern nur stückweise gebracht wird, aber dadurch um so angstvoller wirkt. Weiterhin verarbeitet Bruckner das Themamaterial in schier unüberseh barem Reichtum an Einfällen, bis dann nach einer Generalpause die Reprise einsetzt. Die drei Themen- gruppen erscheinen wieder, aber nicht wortgetreu, sondern vielfach neubelichtet, und auch die Koda bringt noch einmal neue Gedanken, die mit dem Themenmaterial des Satzes, verknüpft sind. Der zweite Satz ist ein von Innigkeit erfüllter Gesang, der unmittelbar ans Herz rünrt. Das gilt von dem feierlich strömenden ersten Thema, es gilt aber auch vom zweiten, das ein Pizzikato der Streicher mit einer Kantilene des Solohorns verbindet. In einem zweiten Teil des sehr übersichtlich gegliederten Satzes werden die beiden Themen variiert, in der dritten „Strophe“ des Liedes fehlt das zweite Thema, dafür zitiert Bruckner das Baß-Solo aus seiner f-moll- Messe — wie oft in seinen Sinfonien dokumentiert er so die Einheit seines Schaffens. Das Scherzo führt uns in ganz andere Gefilde, auf den bäurischen Tanz boden der Heimat Bruckners, auf dem es polternde Tänze, aber auch Episoden zarter Liebesbegegnungen gibt. Vor allem ist das Trio ganz in ein idyllisches Licht getaucht. Das Finale ist, trotzdem es weniger reich an kontrapunktischen Finessen ist. als das erste der Sinfonie dennoch ein Wunderwerk an Themen erfindung und Themen Verarbeitung. Ungewöhnlich (nach meiner Auffassung) die Anordnung der The men: das Hauptthema — über den raunenden Ach teln der zweiten Geige tropft es in den ersten Geigen herab — steht am Anfang, dann folgt das „dritte“, das „Monumentalthema“ (Triolen-Thema) und dann erst das Gesangsthema in A-dur, das. auffallend an das des ersten Satzes erinnert. Wieder ein Zitat aus der f-moll-Messe. Rondoartige Wiederkehr der The men. Rauschender, brausender Ausklang in C-dur. Dr. Karl Laux