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STAHL UND EISEN. 1. Juni 1894. der dichte Kohlenstoff der Steinkohle oder des Koks, am schwierigsten Graphit und Diamant; letzterer kommt naturgemäfs in der Praxis nicht in Betracht. Dafs auch Graphit kohlt, weifs man von der Gufsstahlfabrication in Tiegeln her. Böker und Müller haben die Aufnahme von Kohlenstoff aus dem Tiegelmaterial nachgewiesen. Kohlenstoffhaltige chemische Verbindungen wirken deshalb weniger ein, weil sie zur Zerlegung Wärme bedürfen. Bei niedrigen Temperaturen (unter 400°) kann allerdings selbst Kohlenoxyd unter Bildung von Kohlensäure Kohlenstoff an metallisches Eisen abgeben, aber dieser Vorgang findet bei allen eisenhüttenmännischen Processen, auch im Hochofen, nur ganz untergeordnet oder vorübergehend statt. Kohlenwasserstoffe sind nur in der Form des schweren Kohlenwasserstoffs, aber auch dann nur wenig wirksam, wie die Versuche in Hörde und Montataire gezeigt haben; Cyan ist, unter Zersetzung in seine Elemente, leichter geneigt, Kohlenstoff an das Eisen während seiner Erhitzung bis zum Schmelzpunkt abzugeben, als Kohlenwasserstoffe. Letztere in der Form des Petroleums werden angeblich bei der Panzer platten-Oberflächen-Cementation in Nordamerika verwendet.* Dafs bei allen Processen, bei welchen Kohlen stoff während der Erhitzung unterhalb des Schmelz punktes aufgenommen wurde, eine weitere Auf nahme nach eingetretener Schmelzung stattfand, wufste man vom Hochofenprocefs her. Ja man | hatte längst die Erfahrung gemacht, dafs das geschmolzene Roheisen mehr Kohlenstoff lösen könne, als es bei der Abkühlung zu behalten imstande ist. Schon die Ausscheidung von Graphit | im grauen Roheisen beweist dies, noch vielmehr aber die ungeheure Menge von Kohlenstoffflittern, i welche beim Abstich des Ferromangans die Luft । erfüllen, ehe dasselbe noch erstarrt. Das waren die Erfahrungen, welche bezüglich der Kohlung des Eisens durch festen Kohlenstoff j vorlagen. Die Thatsache also, dafs auch ein | entkohltes Flufseisen Kohlenstoff, welcher ihm auf zweckmäfsige Weise zugeführt wird, auf nehmen könne, lag bereits vor, und dazu kam die Erfahrung, dafs die Kohlung um so leichter von statten geht, je höher die Temperatur ist. Wir wufsten ferner, dafs im geschmolzenen Eisen aller Kohlenstoff in gleicher Weise vertheilt, d. h. legirt in dem Eisen vorhanden ist und sich erst während der Abkühlung, meistentheils sogar I erst nach dem Erstarren in seine vier verschiedenen 1 Modificationen trennt,** welche die abweichenden I Eigenschaften auch im übrigen gleich kohlenstoff haltiger Eisenarten bedingen. Wann indessen * Vergl. „Stahl und Eisen“ 1893, S. 1034 (Aus- stellungsbericht des Verfassers). ** Vergl. des Verf. „Eisenhüttenkunde“, 2. Auf!., S. 27 u. f. I die günstigste Temperatur zur Bildung oder Ab scheidung einer bestimmten Kohlenstoffart ist, kann man nach Lage unserer gegenwärtigen Kenntnisse nur vermuthen, nicht genau be stimmen. Darbys grofses und unbestreitbares Verdienst ist es, die vorhandenen Kenntnisse der Kohlung des Eisens durch festen Kohlenstoff im allge meinen auf die Kohlung entkohlten Flufseisens übertragen und in eine praktisch brauchbare Form gebracht zu haben. Der Vortheil dieser Ueber- tragung lag aber in der Möglichkeit, dem Flufs eisen ohne Manganzusatz oder wenigstens ohne mehr Mangan, als unumgänglich zur Des oxydation nöthig ist, beliebig hohe Mengen Koh lenstoff innerhalb der Grenzen zuzuführen, welche ein schmiedbares Eisen für die verschiedenen Zwecke technischer Verwerthung haben soll. Es war ferner das grofse und ebenso un bestreitbare Verdienst der Eisenhütte Phönix in Laar bei Ruhrort, das Verfahren Darbys, welches mehr auf einem glücklichen Erfindungs gedanken, als auf einer schon zweckmäfsigen Ausführungsform beruhte, in die Praxis einzuführen und es durch zahlreiche jahrelange Versuche in eine anwendbare Form zu gestalten. 1. Die Phönix-Patente und das Phönix-Verfahren. Im Jahre 1888 wurde der Phönixhütte durch Hrn. Gilchrist in England Mittheilung von den Versuchen Darbys gemacht und ihr Interesse angeregt. Die Sache wurde mit grofsem Zweifel aufgenommen, da alle früheren Versuche in ähnlicher Richtung, namentlich ein von Rode angegebenes Verfahren (D. R.-P. Nr. 38 577), welches später Erwähnung finden wird, ohne jeden Erfolg geblieben war. Eine eingeleitete Probe aber zeigte, dafs die von Darby vor geschlagene und probeweis ausgeführte Filtrir- methode, welche darin bestand, dafs das entkohlte Flufseisen durch einen mit Koksstücken angefüllten Trichter in die Giefspfanne fliefsen gelassen wurde, erfolgreich sein könnte. Diese Art der Ausführung wurde bald zwar als wirksam, aber als unprak tisch befunden. Beim Thomasprocefs war sie wenigstens aus vielen Gründen nicht mit Vortheil anwendbar. Die ersten Versuche wurden daher auf den Martinofen beschränkt und dabei wurde dann das jetzt ausgeübte Verfahren ausgebildet. Der jetzt benutzte Kohlungsprocefs ging also zwar von Darby aus, wurde aber von Phönix selbst zur praktischen Anwendbarkeit ausgebildet. Seit 1890 arbeitet die Phönixhütte ununterbrochen nach ihrem Verfahren; selbstverständlich hat sich die Sicherheit des Arbeitens stetig ver vollkommnet. Die Production an rückgekohltem Flufseisen nach diesem Procefs betrug vom 1. Januar 1893 bis 1. Januar 1894 an Thomasflufseisen 58 250 t,