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für das Pflegepersonal und die Aerzte keine An nehmlichkeit ist, versteht sich von selbst. Bei uns wird ärztlicherseits, sobald der Ver dacht der Simulation aus den Acten hervorgeht, in ganz bestimmter Weise verfahren: der zu Untersuchende wird darauf aufmerksam gemacht, dafs es unsere Pflicht sei, die Wahrheit festzu stellen, dafs er durch strenges Festhalten an der selben uns zu helfen habe, dafs wir aber von Beginn der Untersuchung an nicht in der Lage seien, ihm zu sagen, ob wir seinen Angaben glauben oder nicht. Die Betheuerung der Wahrhaftigkeit bei allem Heiligen wird uns ohne weiteren Anlafs von dem zu Untersuchenden in lebhaftester Weise gegeben gerade in den Fällen, wo dann gleich der Ver such gröbster Täuschung folgt durch falsche Angaben, für deren Aufdeckung uns einfache und sichere Beweismittel zur Verfügung stehen — freilich nur so lange, bis sie auch den Rechts beiständen der Betrüger bekannt sein werden. — Von Scenen der Brutalität, welche früher gelegent lich nach Schnapseinschmuggelung vorgekommen sind, will ich ebenso schweigen, wie davon, dafs einer meiner Assistenten nur durch das Zwischentreten eines Kranken davor geschützt wurde, im Garten niedergeschlagen zu werden, ohne dafs die, hierdurch selbstredend erforder liche, Entlassung des Verletzten, welcher bei gutem Willen völlig geheilt worden wäre, später hin einen Nachtheil für die so vertheidigte Rente hatte! Wir sorgen jetzt im Interesse der übrigen Kranken mit aller Vorsicht dafür, dafs störende Elemente der Anstalt fern bleiben, zumal wenn sie Genossenschaften angehören, die erfahrungs- gemäfs nur das schlechteste Material schicken. ) Die Schiedsgerichte sowohl, als Genossenschaften | werden sich nicht wundern dürfen, wenn ihnen die Aufnahme und Beurtheilung Verletzter von den Aerzten verweigert wird, die bei Behandlung derartiger Fälle in weiterer Instanz sich nicht genügend gegen Beschimpfung und Verleumdung I in Schutz genommen sahen. Ganz Erstaunliches wird von Ortsvorstehern, Pfarrern, leider auch gelegentlich von Aerzten, von Advocaten selbstredend, geleistet, wenn es gilt, die angeblichen Rechte eines Simulanten zu schützen, die durch ein auf sorgfältige Be- | obachtung gegründetes Gutachten oder durch un- I erlaubtes Verlassen der Anstalt gefährdet er scheinen. Die Dreistigkeit, mit der Alles vor dem Schiedsgerichte geleugnet wird, grenzt an das Wunderbare; selbst freiwillig gegebene schrift liche Erklärungen werden nicht anerkannt. Wenn es nicht zu traurig wäre, dann sollte man darüber lachen, dafs ich in einem Termine dazu kam, als der Verletzte die Richter eben durch die Angabe geradezu verblüfft hatte, er sei gar nicht unter sucht worden. Auf mein Vorhalten, dafs dies ' doch von mir und meinen Assistenzärzten während des Aufenthaltes an die 50 mal geschehen sei, erwiderte er ruhig, ihm genüge das nicht! — Wie der im Rechtsstreit liegende Bauer Haus und Hof verkauft, um sein eingebildetes Recht zu erlangen, so giebt der Simulant seine letzten Groschen dem Consulenten und hungert selbst mit seiner Familie in der Hoffnung, schliefslich eine Rente von 25 % zu bekommen. Vor dem Weitergreifen solchen Uebels müssen wir die Arbeiter und ihre Familien schützen. Es giebt aber gegen dasselbe ein wirksames Mittel: die frühzeitige Ueber nähme Unfallverletzter durch die Genossenschaften und ihre Unterbringung in be sonderen Krankenhäusern. In einer früheren Besprechung dieser Frage habe ich die sach lichen Gründe für die Empfehlung dieser Mafs- nahme auseinandergesetzt und an Beispielen er läutert.* Wir haben in unserer Heilanstalt bereits eine gröfsere Abtheilung frisch Verletzter und Ope- rirter. Welch angenehmer, fröhlicher Geist herrscht in den Sälen, welche gerade mit diesen unseren Schwerkranken belegt sind. Die Leute haben nur den einen Wunsch, möglichst bald gesund und arbeitsfähig zu werden. Sie freuen sich auf den Beginn der Behandlung mit mecha nischen Mitteln, mag sie auch anfänglich wieder Schmerzen erregen; aus dem Bette aufgestanden, sind sie die ersten, welche den Brüdern und Schwestern bei der Arbeit zur Hand gehen. Das Vertrauen, dafs der Arzt, welcher ihnen in der ersten grofsen Noth half, auch später ihr Recht vertreten wird, ist aufserordentlich leicht zu ge winnen und zu erhalten. Es ist vorgekommen, dafs der Versuch einer bewufsten Uebertreibung durch das Vorgehen der Gesammtheit der Saal genossen seine Erledigung fand. Der Versuchung zur böswilligen Simulation unterliegen solche Ver letzte auch dann so leicht nicht, wenn sie später auf der Genesungsabtheilung nur noch mit manuellen und maschinellen Bewegungen, Bädern u. s. w. behandelt und dabei allmählich zur Leistung von Gartenarbeit und dergleichen angehalten werden. Sehr bemerkenswerth ist es, dafs die Behandlung selbst schwerer Verletzungen meist vor der drei zehnten Woche die Fähigkeit zu regelrechter Erwerbsthätigkeit wiederbrachte. Ein allmählich unabweisbares Bedürfnifs ist die völlige Aufgabe ambulanter Behandlung und Entfernung frisch Verletzter aus solchen Orten, welche den Geschäftsführungen als Brutstätten des Simulantenthums bekannt sind. Es ist bisher meines Wissens seitens der Berufsgenossenschaften in verständiger Weise strafrechtliche Verfolgung von Simulanten nur * Zur Empfehlung frühzeitiger Uebernahme der Unfallverletzten durch die Berufsgenossenschaften auf Grund der Krankenkassennovelle vom 10. April 1892. Abgedruckt im „Compafs" Nr. 21, 1893.