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15. April 1894. STAHL UND EISEN.“ Nr. 8. 337 zelne der von Stead mitgetheilten Beobachtungen zurückzukommen, aber von den beiden oben genannten Gegnern war bereits eine solche Masse wissenschaftlichen Rüstzeugs auf die Wahlstatt geschleppt worden, dafs es auch dem in wissen schaftlichen Arbeiten Geübten schwer wurde, alles gelieferte Material zu überblicken und stets genau zu unterscheiden, ob diese oder jene aufgestellte Schlufsfolgerung ganz folgerichtig war oder nicht. Wie in der Politik, übersieht man auch in der Wissenschaft eine Streitfrage oft besser, wenn man sie, wie flüssigen Stahl, einige Zeit „abstehen“ läfst. Jetzt sind Monate seitdem verflossen, und es sei daher gestattet, aus der gröfseren Entfernung einen kurzen Blick auf die damals nicht ganz zum befriedigenden Abschlusse geführte Angelegenheit zurückzu werfen. Den Kernpunkt des ganzen Streits bildete — wenigstens nach meiner Auffassung — die Frage: „Ist Kalk (Calciumoxyd) imstande,Schwefel- eisen nach der Formel CaO — FeS = CaS + FeO zu zerlegen, ohne dafs ein reducirender Körper (Kohlenstoff, Wasserstoff) dabei mitwirkt?“ Hilgen stock und, wie ich glaube, alle deutschen Eisen hüttenleute verneinen die Frage, wenn sie in jener Form gestellt wird; Stead glaubte, sie auf Grund der bei Anwendung von Saniters Verfahren auf den Wigan-Eisenwerken erlangten Ergebnisse und einiger im kleinen angestellter Versuche bejahen zu sollen. Da jedoch in allen diesen Fällen das verwendete Eisen kohlenstoffhaltig, zum grofsen Theil kohlenstoffreich war, sind die Ergebnisse nicht entscheidend. Auch bei den Versuchen im Martinofen, deren Ergebnisse neuer dings von Stead und Snelus mitgetheilt wurden,* war der Einsatz stets ziemlich kohlenstoffreich. Sofern es sich jedoch um die Entscheidung handelt, ob eine Entschwefelung des Eisens durch basische, zumal kalkreiche, Schlacken allein — ohne Mitwirkung von Kohlenstoff — möglich sei, stellt man sich meines Erachtens auf einen ein seitigen Standpunkt, wenn man nur die oben erwähnte chemische Reaction dafür als mafs- gebend betrachtet. Im schwefelhaltigen Eisen ist der Schwefel, wie man nach den Gesetzen des chemischen Vereinigungsbestrebens annehmen mufs, in Form von Einfachschwefeleisen FeS gelöst. Es fragt sich nun: ist dieses Schwefel eisen nicht auch in basischen Schlacken löslich, und welche Verhältnisse bedingen seine Löslich keit in Schlacken? Ich sehe keinen Grund, die Frage, ob Schwefeleisen sich in basischen Schlacken lösen könne, ohne zersetzt zu werden, zu ver neinen. Puddelschlacken enthalten, auch wenn sie arm an Mangan und frei von Calcium sind, doch häufig ziemlich viel Schwefel, und zwar * „Journal of the Iron and Steel Institute“ 1893 I, p. 70 und 82. nicht als Sulphat, sondern als Sulphid, welches bei der Behandlung der Schlacke mit Salzsäure unter Schwefelwasserstoffentwicklung zersetzt wird. Diese schon bekannte Thatsache wurde neuerdings auch von Stead durch einen Versuch bestätigt, dessen er in seinem erwähnten Vortrage er wähnte. Eisen mit 1,83 % S neben 1,85 % G, 0,09 % Mn, 2,10 % P, 0,05 % Si wurde mit einer eisenreichen, manganarmen Schlacke (FeO = 66,87 %, Fe 2 O 3 = 13,14 %, MnO = 0,86 %, SiOg = 16,70 %, S = 0,16 %) im Thontiegel zusammengeschmolzen; die entstandene Schlacke enthielt 2,26 % S als Sulphid und 4,84 % P2O5, während der Schwefelgehalt des hinterbliebenen Eisens auf 0,58 %, sein Phosphorgehalt auf 0,90 % abgemindert worden war. Dafs auch kalkreiche Schlacken unter be stimmten Verhältnissen Schwefeleisen aufzulösen vermögen, ist mir nicht zweifelhaft; unter an deren Verhältnissen aber können schwefelhaltige Schlacken, selbst wenn sie stark basisch sind, auch Schwefel an das Eisen abgeben. Mancher scheinbare Widerspruch löst sich, wenn man diese Umstände im Auge behält. Die Auflösung von Schwefeleisen durch die Schlacken aus metallischem Eisen wird befördert durch hohen Schwefelgehalt des Eisens bei ge ringem Schwefelgehalte der Schlacken, hohe Temperatur, dünnflüssige Beschaffenheit der Schlacken. Aus schwefelreichen und wenig basischen Schlacken kann dagegen schwefelarmes Eisen, zumal wenn es kohlenstoffarm ist, Schwefel aufnehmen. Nicht selten herrscht Gleichgewichts zustand : der Schwefelgehalt bleibt in der Schlacke und im Eisen unverändert. Dafs Schwefelmangan schwieriger als Schwefeleisen im Metalle löslich ist, leicht dagegen von basischen Schlacken auf genommen wird, und dafs hierauf die ent schwefelnde Wirkung des Mangans beruht, ist bekannt. Einige Hinweise auf das Verhalten des Schwe fels im Martinofen lieferten Campbells zahl reiche Versuche. * Er fand, dafs bei Verarbeitung schwefelreicher Einsätze (Schwefelgehalt 0,1 bis 0,4 %) auf basischem Herde eine ziemlich reich liche Schwefelabscheidung stattfinden kann, wenn man Schlacken mit 45 bis 50 % Kalkerde bildet, dafs aber die Entschwefelung unbedeutend ausfällt und dafs sogar aus dem Ofenfutter, dem zuge setzten Kalkstein oder den Gasen eine Schwefel aufnahme stattfinden kann, wenn der ursprüng liche Schwefelgehalt des Eisens weniger als 0,1 % beträgt. Ein Zusatz von Manganerzen erleichtert nach Campbells Ermittlungen die Entschwefelung. Die Erklärung dafür läfst sich zum Theil in der stärker dünnflüssigen Beschaffenheit der mangan haltigen Schlacke, zum andern Theil auch wohl * Auszugsweise in „Stahl und Eisen“ 1893, Seite 869, mitgetheilt.