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August 1890. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 8. 751 langsam, aber sicher verschwinden werden. Wie derum wird also hier eine Umwandlung vor sich gehen. Menschen. Die Bevölkerung Nord-Amerikas beträgt nach der diesjährigen Zählung 641/2 Mil lionen Einwohner, wovon jedoch kaum 300000 Menschen von den ursprünglichen Bewohnern ab- stammen; letztere bilden die Einwohnerschaft, welche, wenn auch ziemlich unrichtig, mit dem Namen Indianer bezeichnet wird. Im sechzehnten Jahrhundert konnte ihre Zahl 1500000 Menschen betragen, welche aber ihrem Wesen nach von ihren jetzigen Nachkommen wesentlich verschieden waren. Diese Völkerschaften waren umherziehende Jäger, denn nachdem die Jagd auf einem Terri torium einmal erschöpft,war, mufste nothwendiger weise das Glück anderweitig gesucht werden. Im übrigen waren für viele derselben die Wanderungen beschränkt und periodisch. Sie lebten in einer bestimmten Gegend und zwar nach und nach auf den verschiedenen Punkten derselben; ihre Lager befanden sich bisweilen an Stellen, welche früher von ihren Vorfahren bewohnt und nach einer momentanen Erschöpfung wieder wildreich ge worden waren. Auch wurden zuweilen, bald durch den Ein fall eines Führers, bald durch die Strebsamkeit einer Völkerschaft, infolge von mehr oder weniger verlockenden Schilderungen gröfsere Reisen unter nommen; kleinere Abzweige trennten sich von dem Hauptstamm, um in der Ferne, fast immer mit Waffen versehen, das Glück zu suchen. Oft ausgerottet, zuweilen siegreich, erneuerten diese kriegerischen Jäger vor einigen Jahrhunderten fortwährend eine Art Völkerwanderung, von der Europa schon viel früher der Schauplatz gewesen war. Als die Europäer nach ihrem Lande kamen, zogen sie sich nach den ersten Gefechten nach dem Innern zurück und konnten die Eingewan derten sich an der Küste fest niederlassen. Das Wesen der Rasse der Rothhäute ist ziem lich schwor festzustellen, weil ein grofser Theil dieser Völkerschaften die Gewohnheit hat, den Kopf der Neugeborenen zu verunstalten, und die Neigung vorhanden ist, diese Verunstaltung auf die Nachkommenschaft zu übertragen; so sind gewisse Volksstämme ursprünglich mit dem Na men »F 1 ach k ö p f e« getauft worden. Indessen kann beobachtet worden, dafs bei allen diesen Indianern der Kopf etwas pyramiden förmig, der Hinterkopf unterhalb des Vorsprunges abgeflacht und seitlich erbreitert ist, der Joch bogen zeigt eine übermäfsige Ausbreitung, die Na senhöhlen sind grofs, der Oberkiefer springt nach vorn hervor, ohne dafs die Schneidezähne eine merkliche Senkung nach vorn zeigen, und endlich bilden die ziemlich starken Zweige des Unterkie fers nicht einen Winkel, sondern eine Curve. Was die Körpergestalt anbelangt, so ist dieselbe aufserordentlich verschieden; während die Gestalt der Irokesen und der Algonkiner eine sehr schöne ist, nähert sich dieselbe bei den Dacotas und bei gewissen Stämmen von Californien und Oregon der gelben Rasse. Alle diese Völkerschaften zeigen einen ge meinschaftlichen Charakterzug, nämlich grofse Un abhängigkeitsliebe und grenzenlose Grausamkeit. Dieser Punkt hat die ersten Einwanderer in hohem Mafse zurückgeschreckt und sind uns von densel ben ergreifende Erzählungen über die Torturen, welche die Kriegsgefangenen zu bestehen hatten, hinterlassen worden. Dio Hauptstämme sind: die Algonkiner und besonders die Eingeborenen von Illinois, dio Abenakiner und die Mohicaner; die Irokesen und die Huronen, welche bei der Geschichte von Canada eine bedeutende Rolle spielten; die Chero- keesen; die Creeks; die Sioux, Dacotas, Osages, Pawnies, zwischen dem Mississippi und den Roky Mountains. Einige Stämme haben europäische Gebräuche angenommen, während andere sich in ihren Re- serves gelagert halten und nach wie vor geschwo rene Feinde der Weifsen sind. Der Ursprung dieser Völkerschaften erscheint ziemlich dunkel, obschon Blutvermischungen der gelben, weifsen und schwarzhäutigen Rassen er kannt werden können. Einige derselben nähern sich der mongolischen Rasse, eine Thatsache, übei’ welche man sich nicht wundern kann, da die Meerenge von Behring nicht unüberschreitbar ist. Abgesehen von dem ethnographischen Wesen, hat man zwischen dem asiatischen Glauben und den mexikanischen Sagen gewisse Uebereinstim mungen gefunden, ein Umstand, der auf eine weitläufige Verwandtschaft schliefsen läfst. Was die Beziehungen zwischen den alten Morgenlän- dern und Amerika anbetrifft, so können solche nicht bezweifelt werden, da sowohl von den Chi nesen, wie von den Japanesen behauptet wird, dafs die buddhistischen Missionare nach der Neuen Welt viel früher als die Europäer gekom men sind. Die Sprachen Nord-Amerikas sind von Du- ponceau als polysynthetische, von Lieber dagegen als holophrastische (den Gedanken in seinem Ganzen ausdrückend) bezeichnet worden. Diese Verbindung kommt bei zusammengesetzten Wör tern bisweilen mittels besonderer Anhängung zur Geltung, welche man mit der Bezeichnung Encapsulation belegt hat. Alle diese Mundarten, welche ungleich ausgebildet sind, streben mit ent schiedener Hartnäckigkeit nach Zusammensetzun gen; die Stammwörter sind wenig vertreten, und ihr Mechanismus gestattet zwar eine bildliche Form, ist aber einer gröfseren Präcision nicht fähig. In grammatikalischer Hinsicht wollen wir einige Sonderlichkeiten besonders hervorheben, wie z. B. eine doppelte Mehrzahl (inclusive und exclusive), welche die Besitzung oder Nicht besitzung ausdrückt; ferner das Vorhandensein einer Zweizahl (Dualis), von Conjugationen durch Abwandlungen oder Desinenzen (Endformen) mit Aenderungen durch Vorsilben oder Einschaltungen, wodurch eine grofse Reichhaltigkeit des Zeit wortes entsteht. Die Betonung umfafst die Aussprache gewisser besonderen Consonanten, welche man sich unmög lich vorstellen hann, ohne sie gehört zu haben. Der Klang des Satzes gründet sich auf zwei Be tonungen, eine drückende und eine schlagende, welche beide für unser Ohr äufserst eigenthümlich erscheinen. Hinzufügen wollen wir noch, dafs alle diese Mundarten von Müller in folgende zwölf Gruppen eingetheilt wurden: KenaT. Irokesisch. Appalachisch. Californisch. Athapaska. Sioux. Goloutche. Yumisch. Algonkinisch. Pawnisch. Oregonisch. Texas. Die jetzige amerikanische Rasso besteht aus farbigen und weifsen Menschen. Alle Welt kennt den Ursprung der ersteren, und die Erinnerungen an die Sklaverei sind noch zu jung, um einer weiteren Auseinandersetzung zu bedürfen. Die Weifsen sind vorzugsweise von englischem Ursprung (der Name englisch-amerikanisch behält die Oberhand), mit Vermischung von deutschem, französischem, flämischem und italienischem Blut. Im Süden ist das italienische Element sehr stark vertreten. Alle Tage kommen neue Ein wanderer aus Deutschland, Italien, England u. s. w. hinzu und diese tragen zur Umwandlung viel bei.