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Mai 1893. STAHL UND EISEN.* Nr. 9. 361 4^4 II. Der Krupp-Pavillon. Pried. Krupp fafste den Ent- schlufs, die columbische Weltausstellung zu beschicken, erst in vorgerückter Stunde. Zur Anfertigung besonderer Schau stücke war, da auch mit der grofsen Entfernung gerechnet werden mufste, die verbleibende Frist zu knapp bemessen, und beschränkte sich die Firma, z. Th. aus den Beständen, z. Th. aus dem Betrieb ihre Ausstellungsgegenstände zu entnehmen, welche daher den Vorzug haben, als ein getreues Abbild der vielseitigen laufenden Fabrication der Weltfirma gelten zu können. Dasselbe wird um so mehr das allgemeine Interesse in Anspruch nehmen, als u. W. seit der Gentennialfeier in Philadelphia im Jahre 1876 Krupp ein internationales Ausstellungsunter nehmen in irgendwie vollständiger Weise nicht mehr beschickt hat. In dem 17 jährigen Zwischenraum, der seither verflossen ist, hat die Technik des Eisenhütten- und des Artilleriewesens wesentliche Fortschritte gezeitigt, die Gufsstahl- fabrik in Essen hat hierbei in ernster Arbeit mit gewirkt und manche Umwälzung erfahren, sie hat manch stolzen Triumph draufsen und manch fröh liches und erhebendes Ereignifs innerhalb ihrer Mauern erlebt, sie ist vor nunmehr beinahe 6 Jahren in tiefe Trauer versenkt worden, als der Schöpfer der Gröfse der Firma, der unvergefsliche edle Alfred Krupp, die Augen für immer schlofs. Die Ausstellung, welche Fried. Krupp in Chicago zur Schau bringt, ist dem inneren Werth und der äufseren Ausstattung nach der Firma würdig; sie zeigt der Welt, dafs der jetzige Inhaber, der Geh. Gommerzienrath Friedrich Alfred Krupp, nicht nur die schwierige Aufgabe gelöst hat, das ihm überkommene verantwortungsvolle Erbe zu erhalten, sondern dafs er das Riesenunter nehmen kraftvoll weiter entwickelt und dem hohen Ansehen der Firma weiteren Ruhm zufügt. Ueber die jetzige Ausdehnung der Fabrik finden wir in dem 206 Seiten starken, vorzüglich durch gearbeiteten speciellen Ausstellungskatalog der Firma hochinteressante Angaben. Nach der letzten, im Jahre 1892 gemachten Aufnahme betrug die Ge- sammtzahl der auf dem Etablissement beschäftigten Personen 25 310 (davon 16956 auf der Gufsstahl- fabrik in Essen); da diese 60 290 nächste Angehörige haben, so erreicht die Zahl der mit ihrem Lebens unterhalt von der Firma abhängigen Köpfe insge- sammt die die Bevölkerungsziffer eines kleinen Staats repräsentirende Höhe von 85 591. Die Gufsstahl- fabrik in Essen umfafst mehr als hundert Betriebe, darunter sind das Panzerplaltenwalzwerk, derPrefs- bau und viele andere erst in den letzten Jahren entstanden. In der Essener Fabrik allein sind etwa 1500 verschiedene Oefen und Schmiedefeuer in Thätigkeit, in 22 Walzenstrafsen, unter 111 Dampf hämmern und vier mächtigen Pressen wird das Me tall geformt und auf etwa 3000 Werkzeugmaschinen verschiedenster Art vollendet. Die Gesammtlänge der Transmissionsriemen, welche die letzteren be treiben, erreicht 48 kmLänge. Einzweites Stahlwerk liegt in Annen; das Roheisen wird auf vier, am Ober- und Niederrhein gelegenen Hochofenwerken er- blasen, denen 547 deutsche und mehrere grofse, bei Bilbao in Nordspanien gelegene Eisensteingruben das Erz liefern. Zum Transport des spanischen Roh stoffs sind vier grofse eigene Dampfer vorhanden. Der in allen Betrieben der Firma 4200 t be tragende Kohlenverbrauch wird zum gröfsten Theil aus eigenen Zechen gedeckt, ebenso der Bedarf an Thon, Sand und Steinen aus eigenen Gruben bezw. Brüchen. In einer Probiranstait und mehreren Laboratorien erfolgen die wissenschaftlichen Unter suchungen, auf dem grofsen Schiefsplatz bei Meppen die praktische Erprobung des Kriegsmaterials. Um die zahlreichen Colonieen, Krankenl.äuser, Speise anstalten, Schulen und sonstigen Wohlfahrtsein richtungen, welche die Hochherzigkeit der Familie Krupp ins Leben gerufen hat, zu beschreiben, sind dickleibige Bände erforderlich — sie treten auf der Ausstellung in Chicago in sehr bescheidener Weise in den Hintergrund. Schreiber dieser Zeilen hatte Gelegenheit, die Ausstellungsgegenstände und ein Modell ihrer Aufbewahrungsstätte zu sehen, bevor erstere die weite und schwierige Reise antraten, und ist es seine Absicht, durch die nachfolgenden Mittheilungen die Leser einen übersichtlichen Blick auf die Ausstellung werfen zu lassen, ohne dadurch späteren eingehenderen Veröffentlichungen vor greifen zu wollen. — Da in der allgemeinen Ausstellung für das Deutsche Reich nicht genügend Raum für eine entsprechende Aufstellung vorhanden war, wurde nach den Entwürfen von H. T h. Schmidt, Frankfurt a. Main, ein besonderer Pavillon für die Firma Fried. Krupp erbaut. Derselbe liegt im südlichen Theil der Ausstellung, unweit der Halle für Agricultur, direct am Quai des Michigan- Sees, und ist schon weither vom See und den am Landungsdamm anlegenden Schiffen sichtbar.