Volltext Seite (XML)
15. August 1894. .STAHL UNI) EISEN.“ Nr. 16. 729 auch noch die gesammten Einnahmen der Besitzer aus ihren auf hessischem Boden betriebenen Fa briken besteuern, so weist sie ihnen damit den Weg aus Biebrich nach dem gegenüber, gleich falls am Rhein belegenen hessischen Mainz, und sie hat selbst den schwersten Schaden. Das gleiche Verhältnifs wird sich in dieser oder anderer Form hundertfach wiederholen. Es ist wahr, dafs gerade in einem derartigen Fall Billigkeitsgründe für ein weitgehendes Be steuerungsrecht der inländischen Gemeinde auch bezüglich des Einkommens sprechen, dasimfremden Bundesstaat erworben ist. Denn zahlreiche Arbeiter der Amöneburger Fabriken wohnen in Biebrich, und dieser Gemeinde erwachsen deshalb erheb liche besondere Aufwendungen für Volksschule und Armenwesen. Waltet eine derartige Wechsel wirkung zwischen inländischen Gemeinden ob, so mufs die Betriebsgemeinde aus den Steuern, die sie von der gewerblichen Niederlassung er hebt, der Arbeiterwohnsitzgemeinde einen Zuschufs leisten, auf den diese aber an die aufserpreufsische Betriebsgemeinde ■ mangels reichsgesetzlicher Re gelung keinen Anspruch hat. Daraus folgt jedoch nicht die Billigkeit der Doppelsteuer, nicht dafs der Steuerpflichtige dasselbe Einkommen zweimal beschatzen lassen mufs: die Unbilligkeit liegt im Verhältnifs der ausländischen Betriebsgemeinde, nicht des Steuerpflichtigen zur inländischen Arbeiterwohnsitzgemeinde, darin, dafs erstere die Steuer ganz nimmt, die zum Theil dieser gebührt. Diese Unbilligkeit wird nicht durch eine neue Unbilligkeit gegen die Steuerzahler ausgeglichen, vielmehr mufs die Reichsgesetzgebung eingreifen. Man hat ferner im Communalabgabengesetz möglichst auf diejenigen Orte Rücksicht genommen, die, wie Wiesbaden, Kreuznach und viele Rhein städte, wesentlich auf den Aufenthalt und längeren Zuzug von Fremden angewiesen sind; man hat sie ermächtigt, Neuanziehende 3 Jahre gar nicht oder nur mit geringerem Satz zu beschatzen. Die Doppelsteuer wirkt entgegengesetzt und bedroht derartige Gemeinden in der ernsthaftesten Weise. Niemand zieht aus Sachsen, aus den Hansestädten an den Rhein, um dort — wenn die nöthigen Voraussetzungen da sind — die doppelte Steuer zu zahlen. Es ist bekannt, wie genau sich Fremde, ehe sie zuziehen, nach den Steuern erkundigen, und wie ängstlich solche Gemeinden bemüht sind, die Steuern niedrig zu halten. Zahlreiche Fremde werden auch wieder wegziehen, gerade die, auf die nicht nur die Geschäfte angewiesen sind, sondern die bisher — auch ohne Doppelbesteue rung — die meisten Steuern zahlen. Man will ferner Berlin zu einer Stadt machen, die gleich Paris von Fremden nicht nur vorüber gehend aufgesucht, sondern auch bewohnt wird. Natürlich wird dies durch die Doppelbesteuerung verhindert. Die Gesammtwirkung aller ange führten Umstände wird eine erhebliche Verringe- XVI.14 rung des Steuereinkommens vieler Gemeinden, aber auch des Staates selbst sein. Denn auch die Staatssteuer vieler Angehöriger fremder Bundes staaten, die in Preufsen wohnen, wird wegfallen. Das natürliche Recht und die Interessen der Steuerzahler, der Gemeinden und des Staates werden durch die Doppelbesteuerung in gleicher Weise verletzt, und man könnte wirklich fragen, welches Interesse es eigentlich ist, zu dessen Schutz das Herrenhaus und ihm folgend die übrigen Gesetzgebungs-Betheiligten den Gemeinden die Rute der Doppelbesteuerung aufgebunden haben. Man wollte auch Niemand damit schützen, sondern man meinte, die Gemeinde-Doppelbesteue rung zu verhindern, sei Sache des Reiches, und deshalb verordnete man sie. Oder glaubte man der deutschen Einheit zu dienen, indem man diesen Keil in den deutschen Wirthschaftskörper trieb und den Gemeinden befahl, eine Nieder lassung im deutschen Nachbargebiet zu behandeln, als läge sie in Rufsland? In Preufsen wohnen viele Angehörige deutscher Bundesstaaten, die man mit der Doppelbesteuerung treffen wird. Was anders ist die Folge, als Erbitterung gegen den führenden Staat, der sich selber so auffällig gegen die immer von ihm erhobene Forderung, die In teressen des Reiches über die des Staates zu stellen, vergeht? Hier hat man in der That einen unberechtigten preufsischen Particularismus vor sich. Im Herrenhause hat man gemeint, dafs man abwarten könne, welche Mifsstände sich durch die Doppelbesteuerung herausstellen. Wo indefs die Folgen 'so klar zu Tage liegen und zahlenmäfsig so genau zu berechnen sind, bedarf es keiner Er fahrung mehr. Vielmehr fordert, wenn die Be rufung auf die Billigkeit vergebens ist, obwohl die neue Steuerordnung eine gröfsere wirthschaft- liche Gerechtigkeit heraufführen sollte, das In teresse der Steuerzahler wie das der Gemeinden, sofern es recht verstanden wird, dringend baldige Abhülfe. Mögen Handelskammern und wirth- schaftliche Vereine nicht säumen, Thatsachen zu sammeln, um den Umfang darzuthun, den das Unrecht der Gemeinde - Doppelbesteuerung an nehmen wird; mögen auch Gemeindevorstände die Folgen für ihre Gemeinden ins Auge fassen, die Frage auf Städtetagen oder unaufgefordert in eigenen Berichten an die Aufsichtsbehörden zur Sprache bringen; dann wird die Staatsregierung ohne Bedenken ein Reichsgesetz, das die Frage erledigt, beantragen oder in Preufsen selbst eine Aenderung herbeiführen. Besondere Schwierig keiten werden sich der Regelung durch das Reich nicht in den Weg stellen. Die Vorschriften des preufsischen Communalabgabengesetzes, die in wesentlichen Stücken nur die bewährten Bestim mungen des Communal - Nothsteuergesetzes vom 27. Juli 1885 wiederholen, werden sich ohne wei teres auf das Reich übertragen lassen, und für 5