Volltext Seite (XML)
15. August 1894. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 16. 713 Die Eisenindustrie Rufslands.* I. Das Eisenhüttenwesen. Peter der Grofse erliefs im Jahre 1719 einen Ukas, der das erste Gesetz des russischen Montan wesens enthielt. Ihm entging auch die Bedeutung einer eigenen Eisenindustrie nicht. Der Zweck ihrer Gründung war eher die Erzeugung von Kriegsmaterial, als die Deckung des allgemeinen Bedarfs von Eisen, allein das Ergebnifs war doch dasselbe, nämlich die Errichtung von grofsen Eisenwerken. Ein Ausländer, der Sachse Hennin und zwei aufserordentlich begabte und thatkräftige Inländer, der Kaufmann Tatisceo und der geniale Schmied Nikita Demidov gründeten die ersten bedeutenden Eisenwerke bei Tula im Gouv. Oloneck sowie am Ural. Die uralischen Eisen werke gingen theilweise von der Staatsverwaltung an russische Edelleute über, welche daraus um so gröfseren Nutzen zogen , als sie unterliefsen, den zur Holzkohlenbrennerei abgetriebenen Wald durch Nachwuchs zu erneuern, wodurch die mit reichen Erzen gesegneten Herrschaften aus Mangel an Holzkohlen jetzt nicht in der Lage sind, dem gesteigerten Bedarf an Eisen zu ent sprechen und beim besten Willen die schon aufs höchste gesteigerte Eisenerzeugung des Urals noch zu erhöhen. Ein grofser Theil der Eisen industrie-Gebiete des Urals ist entwaldet und müssen Holzkohlen von bedeutenden Entfernungen herbeigeschafft werden. Der südliche Ural ist von Natur aus nicht so waldreich gewesen als der mittlere Gebirgstheil. Die kaum mehr mögliche Steigerung der Eisenerzeugung am Ural hat jetzt Südrufsland übernommen, welches, selbst waldarm, für das Holz Ersatz in seinem mineralischen Brennstoff besitzt. Indessen steht zur weiteren Steigerung noch ein Hinterland, nämlich Sibirien, zur Ver fügung, welches mit Eisenerzen, Steinkohlen, Wald und schiffbaren Flüssen gesegnet ist und das eine reiche Quelle des Wohlstandes abgeben könnte, wenn man aus den gemachten Erfahrungen Nutzen ziehen und den Wald schonen würde. Bei aller Tüchtigkeit und Befähigung der Russen, sind dieselben doch nicht gute Volkswirthschaftler, wie es der unökonomisch behandelte Waldreich thum zeigt. Das Roheisen wird in Rufsland vornehmlich mittels Fichten-, Kiefern- oder Birken-Holzkohle erblasen, in Polen ist Eichen- und Buchenkohle in Anwendung. Zuweilen wird in Mittelrufsland und Finland die Holzkohle mit Holz gemengt. Auch mischt man zuweilen Torf zu den Holz- * Unter Zugrundelegung des für die Weltausstel lung von Chicago bestimmten Berichts von A. Keppen bearbeitet von Prof. R. Helmhacker in Prag. XVI.a kohlen, das aber nur in wenigen Hütten Polens; endlich stehen 8 Hochöfen im Betriebe, deren Brennmaterial aus einem Gemenge von Holzkohle mit Steinkohle besteht, und zwar 7 in Polen und 1 am Ural. Mittels mineralischen Brennstoffs (Koks) werden 6 Hochöfen in Polen und 8 in Südrufsland erhalten, 1 Hochofen benutzt Anthracit (die Sulinovsky-Hütte des Pastuchov). Die älteren Holzkohlenhochöfen sind natürlich veralteter Gonstruction mit dickem Ziegel- oder Steinrauhgemäuer, gering geprefstem, kaltem, oder unzureichend erhitztem Wind. Die fin- ländischen, polnischen Holzkohlen-Hochöfen, sowie jene des Gouv. Oloneck sind klein, höchstens 10 m hoch; aber die Hochöfen des'Ural sind hoch und zwar 151/4 m und noch mehr; die Höhe der mittelrussischen Hochöfen ist eine mittlere, zwischen diesen beiden. Die neu ge bauten Hochöfen hingegen sind grofs und geräumig mit vielen, 3 bis 12 mittels Wasser gekühlten Düsen ; zudem ist der Herd wie auch der Schacht von allen Seiten zugänglich und meist nur aus (Chamotte-)Ziegeln erbaut. Das Rauhgemäuer der neuen Hochöfen ist verhältnifsmäfsig dünn und einige derselben sind ganz nach schottischer Art ohne Rauhschacht aufgeführt. Die neuesten Hochöfen sind durchweg mit Gasfängen versehen und arbeiten mit heifsem Wind. Die neuesten Kokshochöfen sind von der bewährtesten Gon struction und der jährlichen Leistungsfähigkeit bis zu 21/2 Millionen Pud* Roheisen (10- bis 12 000 Pud täglich). Die Veränderungen in dem Hochofenbestande seit den letzten 10 Jahren des Betriebs sowie des Brennstoffs zeigt folgende Uebersicht: Jahr Zahl d.Hoch öfen mit Roheisenerzeugung in Pud kaltem Wind heifsem Wind e • E a 3 N im Holzkohlen- Hochofen im Hochofen mit mine ralischem Brennstoff in Hochöfen mit gemischtem Brennstoff 1881 — — 196 26 446 500 2 215 500 — 1883 106 90 200 25 758 000 2 479 500 — 1885 88 107 195 28 661 000 3 004 000 541 500 1887 70 119 189 30 185 000 5 991 000 1 214 000 1889 74 139 213 31 603 000 11 968 000 l 609 500 1890 69 145 214 37 327 000 18 278 500 955 000 Die Hochöfen baute man sonst an gestauten Bächen, um Wasseransammlungen als Betriebs wasser zu bilden. Die Hüttenteiche erlangten dadurch Ausdehnungen bis zu mehreren Quadrat kilometern. Die Betriebsmaschinen waren meist auf Wasserkraft angewiesen; man ist bemüht, * 1 Pud = 16,381 kg. 3