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faches Hoch zu bringen. Jetzt freilich ist die schöne Zeit der freihändlerischen Aera dahinge schwunden ; aber Hr. Bamberger als gewandter Dialektiker verfährt jetzt formell anders — er streckt den Arm pathetisch vor sich hin (Heiter keit!) und sagt: M. H., ich warne Sie vor diesem grundstürzenden Irrthum des Schutzzolles, weichen Sie zurück von dem Abgrund, stürzen Sie das Vaterland nicht in das Verderben, beschwören Sie nicht den Ruin der ganzen Nation herauf! — M. H., ich bin ja nur ein unbedeutender Mann, ich kann mich, was Eloquenz betrifft, nicht im entferntesten mit Hrn. Bamberger messen, ich kann also ein solches Finale wie er nicht in Scene setzen, ich kann gegenüber all diesen Be schwörungen des Hrn. Bamberger, wie sie jetzt bei ihm Regel geworden sind, nur bitten: Lassen Sie sich von Hrn. Bamberger nicht bange machen! . . . so werden Sie die grofse Majorität der Nation hinter sich haben.“ (Lebhaftes Bravo rechts; Zischen links; wiederholtes, lebhaftes Bravo rechts.) Nach der grofsen, meisterhaften Rede Bergers wurde das Wort nicht mehr gewünscht; es folgte nur eine Fluthwelle persönlicher Bemerkungen; dann kam man zur Abstimmung: Mit 218 gegen 88 Stimmen wurde die den Roheisenzoll be treffende Position und damit implicite der ganze Zolltarif angenommen und der Schlufsstein zu dem grofse Werke Bismarcks für den Schutz der nationalen Arbeit gelegt. Bergers Verdienste um unsere Verkehrs verhältnisse haben wir in dem obenerwähnten Erinnerungsblatt eingehend dargelegt. Heute, wo wir aufs neue um den Dortmund-Rheinkanal ringen, mag noch einmal daran erinnert sein, dafs Berger neben seiner umfassenden Thätigkeit auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens fortgesetzt mit grofsem Eifer sein Interesse den Wasserstrafsen zu wandte, von denen schon der alte Harkort, der erste und wärmste Befürworter des Eisenbahnbaues in Preufsen, gesagt hatte: „Während man von Eisen bahnen spricht, soll man die Wasserstrafsen, so allein den Welthandel bilden, nicht blind ver nachlässigen!“ Berger war eines der treuesten Mitglieder des „Gentralverbandes zur Hebung der deutschen Flufs- und Kanalschiffahrt“ und einer der eifrigsten Anhänger der Moselkanalisirung, für die er manch gutes und treffendes Wort im Parlamente gesprochen und die ihn auch sonst als eine Lieblingsfrage beschäftigte. Mit beson derem Vergnügen erinnert sich der mitunter zeichnete Redacteur des wirthschaftlichen Theiles unserer Zeitschrift daran, dafs ihm auf dem III. internationalen Binnenschiffahrtscongrefs zu Frankfurt a. M. Berger im Angesichte der Friedel- sehen Pläne zur Moselkanalisirung mit den Worten auf die Schulter klopfte: „Ihr glückliches, jüngeres Deutschland werdet diese schöne Wasserstrafse bekommen!“ und dann fügte er mit seinem un nachahmlichen ironischen Lächeln hinzu: „Und dann wird sich das wiederholen, was der alte Harkort Ende der zwanziger Jahre in Bezug auf den Eisenbahnbau aussprach: „Unsere Kinder und Enkel werden sich wundern, wie es möglich gewesen ist, dafs sonst kluge Leute bei dieser so einfachen Sache so dumme Gesichter ge schnitten haben!“ Die letzte gröfsere Wirksamkeit, welche Berger auf volkswirthschaftlichem Gebiete als Parlamen tarier entfaltete und welche seine ganze Persön lichkeit in ihrer Unabhängigkeit nach oben wie nach unten kennzeichnet, fällt in das Jahr 1889, in die Zeit nach dem grofsen Bergarbeiter ausstand. Man erinnert sich, welche Verwirrung be züglich der gewöhnlichsten Begriffe bei Behörden und im Publikum angerichtet worden war: in folge der eine geradezu erstaunliche Sachunkennt- nifs in den gewöhnlichsten industriellen Dingen verrathenden Prefsleistungen hatte man Alles geglaubt, wenn es sich nur gegen die Arbeit geber richtete; man konnte allen Ernstes er zählen hören, die westfälischen Bergarbeiter müfsten 1/2 Stunde „am Seil hangen“, um den Weg in die Grube und aus derselben zu machen, man fafste die achtstündige Schicht in derselben Weise auf, wie die Wechselschicht der Schiffs kesselheizer, so dafs auf 8 Stunden Ruhe immer wieder 8 Stunden Arbeit kämen, und was der gleichen unverständige, von der Presse eifrigst weiter verbreitete Dinge mehr waren. Da kam die bekannte Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 15. März 1890,* in welcher Berger als Erster das Wort erhielt und in seiner denk würdigen Rede das ganze Lügengewebe, welches Unverstand und Uebelwollen bezüglich der Arbeiter verhältnisse im deutschen Bergbau verschuldet hatte, mit fester Hand zerrifs. „Mir erscheint“, so begann Berger, „das preufsische Haus der Abgeordneten heute als ein hoher Gerichtshof der Nation, der in einer hoch wichtigen Frage seine letzte Entscheidung und Urtheil abgeben soll. Angeklagte in der gegen wärtigen Verhandlung sind die Grubenbesitzer an der Ruhr, in Aachen und Saarbrücken, in Ober- und Niederschlesien; als Kläger treten die im Mai 1889 streikenden Bergleute auf; untersuchungs führender Richter ist die König!. Staatsregierung“ -- „ich erscheine heute vor Ihrem hohen Gerichts höfe als Anwalt für die angeklagten Bergwerks besitzer der Preufsischen Monarchie.“ Und nun begann Berger mit umfassendster Sachkenntnifs und mannhaftestem Muthe, ohne Rücksicht nach oben oder unten, den Gang des Streiks darzulegen, indem er zunächst Rechen schaft darüber verlangte, wer die Verantwortung dafür trage, dafs jenes contractbrüchige social- * Stenogr. Berichte 1890, II. Band, Seite 724 ff.