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416 Nr. 9. STAHL UND EISEN.“ Mai 1892. Zur Schienenstofsfrage. Viele Wege führen nach Rom. Die übrigen aber — und ihrer sind es viel mal viele — führen dran vorbei oder drum herum oder ver laufen gänzlich im Sand. Es giebt Gebiete der Technik, auf denen man unter den vielen ver suchsweise eingeschlagenen und als mehr oder weniger gangbar erachteten Wegen überhaupt noch nicht einen gefunden zu haben scheint, der wirklich „nach Rom führte“. Das Kapitel in Haarmanns „Eisenbahngeleise“, welches die Geschichte des Schienenstofses behandelt, giebt Auskunft über schier zahllose Mafsnahmen, | die man getroffen, Versuche, die man bald hier : bald da angestellt hat, um des Stofses Herr zu werden. Eine lange, von Anbeginn der Eisen bahnzeit an bis in unsere Tage ununterbrochen fortlaufende Reihe von Gonstructionen galt dem Kampf gegen den Schienenstofs. Dieser Kampf, auch heute noch nicht entschieden, ist mit stets wachsender Erbitterung geführt worden. Wie oft auch Einzelkämpfer in den Reihen der Eisen bahntechniker und Hüttenleute bereits versuchte oder auch neu erdachte Mittel anwandten, alte oder neue Kampftaktiken einschlugen, um dem gemeinsamen Feinde beizukommen, vergebens! Mit der Mannigfaltigkeit der verfolgten Wege und mit der Vervollkommnung der benutzten Waffen wuchs nur immer die Hartnäckigkeit des anfangs arg unterschätzten Gegners. Es hatte daran zum Theil der Umstand Schuld, dafs es eben überall, wo man den Kampf aufnahm, nur Einzelkämpfer waren, die sich heran wagten, während das Gros des Heeres der Geleisetech niker verschiedenster Grade unthätig dem meist von Beginn an verfehlten Scharmützel zuschaute, oder vielmehr dieses nicht einmal that. Mehr aber trug zu dem Mifslingen aller bisherigen Kämpfe mit dem Schienenstofs das schnelle und unaufhaltsame Anwachsen des Verkehres bei, wodurch die Wucht der von jedem einzelnen Eisenbahnrad an jeder Stofsstelle des Schienen stranges ausgeübten Schläge infolge seiner Ge- j wichts- und Geschwindigkeits-Vermehrung stetig | erhöht und die rasche Aufeinanderfolge der Räder j infolge Vermehrung und Vergröfserung der Züge zu vorher nicht geahnter Höhe steigerte. Es soll hier nicht der Beweis dafür erbracht werden, dafs die angedeutete Steigerung des Verkehrs Zahl, Gewicht und Schnelligkeit der Eisenbahn räder immer weiter ins Mafslose sich steigern wird; das aber ist sicher, dafs die Schienenstofs frage von Jahr zu Jahr dringender ihre Lösung erheischt. Kein Wunder daher, dafs nach wie vor die berufensten Fachleute ernste Schritte | thun zu ihrer Lösung. Schade aber, jammer- i schade, dafs es immer wieder nur Einzelkämpfer sind, die sich aus der grofsen Heerzahl ab sondern und Gefahr laufen, aus Mangel an Rück halt und Unterstützung, wie so mancher unglück liche Tapfere vor ihnen, zu unterliegen ! Warum geht man nicht geschlossen vor?! Die endgültige Unterwerfung des Erzfeindes der Fahrmittel wie der Geleise, nicht minder aber auch der Nerven der Reisenden, mit einem Worte: die endliche Beseitigung des verderblichen Schienenstofses würde dann wohl weniger lang noch auf sich warten lassen, als es unter den obwaltenden Umständen leider zu befürchten ist. Es sind namentlich vier Wege, welche von angesehenen deutschen Fachmännern in letzten Jahren beschritten oder befürwortet sind. Haarmann, der eifrigste, zäheste und auch der gefährlichste Widersacher des vielbekämpften Schienenstofses, schuf seine bekannte zwei theilige Schwellenschiene, welche in den nahezu 10 Jahren ihres Bestehens schon manchen unwiderleglichen Beweis von der Wahrheit des ihr zu Grunde gelegten Gonstructionsgedankens durch musterhafte Bewährung unter den schwierigsten Betriebsverhältnissen geliefert hat. Indem aber Haarmann aufser auf dem beschränkten Feld des Schienenstofses zugleich auch bezüglich vieler anderen Einzelheiten der Geleiseconstruction mit seiner Schwellenschiene als grundsätzlicher Neuerer auftritt, wirft er fast alle landläufigen ein gewurzelten Vorstellungen von einem Eisenbahn geleise mit einemmal über den Haufen. Er verlangt Vermeidung der sich quer über die Fahrfläche erstreckenden Stofsfuge durch „Ver setzung“ des Stofses um ein halbes Meter; er führt unter Verzicht auf Eintheiligkeit und Einfach heit des Fahrkopfes eine Zweitheilung der Schiene in ihrer ganzen Länge herbei; er sieht behufs Vermeidung einer wagerechten Trenn- und Be rührungsfläche zwischen Schienen und Schwellen gänzlich von gesonderten Schwellen ab, legt vielmehr die Schwellenschienen mit breitem Fufs unmittelbar auf die Bettung; er macht schliefs- lich in gebotener Folge jener Forderungen die grundsätzliche Anerkennung des Langschwellen systems im Gegensatz zum Querschwellensystem zur Vorbedingung für den Uebergang zu seinem Schwellenschienen - Oberbau. Das ist viel auf einmal. Es wird dadurch naturgemäfs bei allen denjenigen, welche im Hergebrachten befangen sind, eine Unzahl von Bedenken, Vorurtheilen und Einwänden wachgerufen. Und wer nennte nicht die Gewohnheit seine Amme, auch wenn er nicht aus Gemeinem gemacht zu sein wähnt? Es ist eine gewaltige Aufgabe, gegen einen so