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April 1892. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 8. 893 Der transatlantische Passagierverkehr. Aus einem von Professor Henry Dyer in der »Scottish Review« veröffentlichten Aufsatz über die Entwicklung der Dampfschiffe und ihre Maschinen entnehmen wir, dafs die aufserordentlich bedeutenden Verbesserungen sich aus den Kohlenmengen, welche in einer Stunde für je eine indicirte Pferdestärke ver braucht werden, am besten erkennen lassen. Bis zum Jahre 1830 überstieg der Dampfdruck selten 0,2 kg a. d. qcm. Seit dieser Zeit trat eine allmähliche Ver- gröfserung des Drucks ein, und schon im Jahre 1845 betrug dieselbe im Durchschnitt ungefähr 0,7 kg a. d. qcm. Im Jahre 1850 erreichte sie 1,05 kg. 1856 wendeten Randolph, Elder & G o m p. bei ihren Gompoundmaschinen zuerst Pressungen von 2,1 kg an, doch dauerte es volle 10 Jahre, bis derartige Pressungen allgemeiner wurden, dann aber stieg der Druck rasch auf 4,2, 5,6 und in einzelnen Fällen bis auf 7,0 kg; bei unseren gegenwärtigen Triple-Expansionsmaschinen ist der Druck 10,5, bei den Quadrupie-Expansions maschinen sogar 14 kg a. d. qcm. Bezüglich des Kohlenverbrauchs ist anzunehmen, dafs derselbe bei den ersten Dampfern etwa 3 kg für jede indicirte Pferdekraft betragen hat, dafs er dann auf 1,2 kg, bei den Gompoundmaschinen auf 0,76 kg und noch später auf 0,56 kg sank. Bei drei- und vierfachen Expansionsmaschinen vermindert sich der Kohlenverbrauch abermals und zwar bis 0,38 kg für jede Pferdestärke in der Stunde. Professor Dyer verfolgte auch die Entwicklung der Gröfse der Dampfschiffe vom »Great Western« an bis zu unserer Zeit und gab Beispiele von ausgeführten Wettfahrten. Gegenwärtig kommen die Leistungen der einzelnen hervorragenderen Gesellschaften, wie »The White Star«, »The Inman« und »The Cunard«, einander ziemlich nahe, so dafs nur Differenzen von wenigen Stunden vorhanden sind. Die schnellsten Ueberfahrten dauern von 5 Tagen 16 Stunden 31 Minuten bis 6 Tage 2 Stunden 31 Minuten. »The Cunard« ist augenblicklich etwas zurückgeblieben, doch ist zu erwarten, dafs eine Gesellschaft, die es früher so gut verstanden hat, milden neueren Errungenschaften Schritt zu halten, den Wettkampf nicht so leicht auf geben wird. Sie bestellte auch bereits zwei neue Dampfer, jeder von 600 Fufs Länge und 21 Knoten Geschwindigkeit, welche die Ueberfahrt in 5 Tagen uml 10 Stunden besorgen sollen. Im Anschlufs an diese Mittheilungen wollen wir noch einige Zahlen anführen, die Mr. John Glover neulich in einem Vortrag in der »Royal Statistical Society« über den Fortschritt der englischen Schiffahrt erwähnte. Die Gesammtschiffsfracht Englands betrug demgemäfs im Jahre 1880 53000000 t und stieg im Jahre 1890 auf 76 500 000 t; sie zeigt somit eine Zu nahme von nicht weniger als 44 %. Wir beschränken uns darauf, aus der Fülle der interessanten Angaben die Bemerkung herauszugreifen, dafs innerhalb der letzten 10 Jahre bei den Amerikafährten die deutschen Linien die englischen sowohl hinsichtlich der Zahl der Passagiere, als auch bezüglich der Anzahl der Schiffe und der Geschwindigkeit der Postbeförderung überholt haben. Die Thatsache, dafs der »Nord deutsche Lloyd« die Neuanschaffung von 4 grofsen Dampfern zu je 5000 t für den Colonialhandel beab sichtigt, zeigt, dafs die Unternehmungslust dieser Gesellschaft nicht abgenommen hat. „Zum Glück“, sagte der Redner, „haben wir aber in den zwei neuen Cunard-Packetdampfern den augenscheinlichen Beweis, dafs unsere britischen Gesellschaften bestrebt sind, wieder in den Vordergrund zu treten.“ Die Zahl der vom »Norddeutschen Lloyd« inner halb der letzten 10 Jahre nach New-York beförderten Reisenden betrug 738668, sodann folgt unmittelbar die Hamburg - Amerikanische Packetgesellschaft mit 525 900 Reisenden oder zusammen 1264 568. An der Spitze der englischen Linien steht der »Weifse Stern« mit 371 193 Passagieren, dann kommen »The Cunard« mit 323 900, »Inman« mit 322 930 und die »Guion« mit 237 836, also zusammen 1 255 859 Reisenden. Der »Norddeutsche Lloyd« besitzt gegenwärtig 79 Fahrzeuge mit einer Ladefähigkeit von 202118 t, während der »Cunard« nur 30 Fahrzeuge mit 86 402 t besitzt. Der Redner schlofs seine Betrachtungen mit dem Ausspruch, den wir hiermit gern festlegen: „Diese Zahlen dürften genügen, um die rasche Entwicklung des deutschen Dampfschiffverkehrs zu zeigen, und uns das Material zu ernsten Ueber- legungen darzubieten, denn obgleich viele der deut schen Schiffe in England gebaut wurden, gehören sie jetzt doch unseren bedeutendsten Concurrenten." Soweit unsere Quellen, deren englische Abstam mung wir nochmals ausdrücklich betonen. Tertiärbahnen. Der frühere Eisenbahn-Director, jetzige vortragende Rath im Finanzministerium, Hr. v. Mühlenfels, hat vor einiger Zeit über die Anlage von Bahnen niederster Ordnung, von ihm kurz mit Kleinbahnen bezeichnet, einen längeren Aufsatz veröffentlicht, der insofern allgemeines Interesse verdient, als ange nommen werden kann, dafs dieser Aufsatz, der vor aussichtlich mit Genehmigung des Finanzministers veröffentlicht worden ist, auch die Ansichten des selben über das Bedürfnifs, sowie über die Mittel und Wege zur Vervollständigung unseres Eisenbahnnetzes wiedergiebt. In dem Aufsatze wird u. A. ausgeführt, dafs der Preufsische Staat noch vieler Tausend Kilometer neuer Bahnen bedürfe, dafs in ihnen noch Millionen des Nationalvermögens nutzbringend angelegt und die Noth der Landwirthschaft durch sie wirksam bekämpft j werden könne. Aber dieses Ziel müsse auf einem andern, kürzeren Wege erreicht werden, als dem i bisher betretenen. Der allmählich sich vollziehende vorsichtige Ausbau des Staatsbahnnetzes allein könne das Bedürfnifs nach neuen Bahnen nicht befriedigen. Neben dem Staatsbahnwesen müsse sich bei uns in Preufsen eine neue Eisenbahnwelt bilden, nicht im Gegensatz zu jenem, sondern in innigster Verbindung mit ihm zu wechselseitiger Förderung und Kräftigung. In betreff der Bedürfnifsfrage mufs zunächst zu gegeben werden, dafs, während in Preufsen am 1. April 1890 19 342 km Hauptbahnen und 7631 km Neben bahnen im Betriebe waren, die Betriebslänge der dem öffentlichen Verkehr dienenden Klein- oder Tertiär bahnen nur auf etwa 800 km geschätzt werden kann, und dafs Preufsen in der Entwicklung des Kleinbahn- wesens gegen andere Länder sehr zurückgeblieben ist. Auch ist hervorzuheben, dafs von den 1143 Städten des Landes mit mehr als 1000 Einwohnern 328 jeder Eisenbahnverbindung entbehren, darunter 11 noch mit mehr als 5000, 26 mit mehr als 4000 und 59 ' mit mehr als 3000 Einwohnern. Aber so sehr wir das Bedürfnifs für eine Er weiterung unseres Eisenbahnnetzes und zwar ins besondere durch Anlage von Kleinbahnen anerkennen, so halten wir es jedoch weder für nothwendig, noch auch für erreichbar, wenn in dem erwähnten Aufsatz : für jedes Dorf, jedes Gut, jeden Hof, den die Bahn berührt, eine Halte- und Ladestelle verlangt wird, wenn daraufhin die vorläufig erreichbare Ausdehnungs grenze der Kleinbahnen in Preufsen gleich der Länge des jetzigen Haupt- und Nebenbahnnetzes auf etwa 25 000 km geschätzt, und wenn schliefslich angenommen wird, dafs dieses ungeheure Eisenbahnnetz bei durch- VIII.12