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Januar 1892. STAHL UND EISEN.* Nr. 1. 23 Constructeure bezüglich der Druckbänder im Gitter werk den Einflufs der freien Länge, das ist das mögliche Ausbiegen oder Knicken, vernachlässigen, denn das dichte, vernietete Netz, das die Zug und Druckbänder bildeten, wirkte ähnlich dem Stehbleche eines vollwandigen Trägers. Als die Profil- und Winkeleisen in Anwendung kamen und infolgedessen die Maschenweiten im Gitter werke sich vergröfserten, konnte der Einflufs der freien Länge nicht mehr umgangen werden, aber die Annahmen bezüglich des Mafses der freien Länge waren sehr verschieden. Der Mangel einer ausreichenden Berechnungsweise, der auch derzeit noch nicht völlig behoben ist, verlieh vielen der damaligen Eisenbrücken, je nach dem Standpunkt des Constructeurs, eine Unsicherheit, die zu beheben eine der Hauptaufgaben bei den Brückenverstärkungen sein mufste. Auch die Gurtungen, welche auf Druck beansprucht werden, müssen bei nicht genügender Berücksichtigung der Knickgefahr eine ernste Unsicherheit in die Construction bringen, daher war eine möglichste Sicherung gegen Ausknickungen durch Versteifung des Guriprofils und durch Verstärkung der Gitter streben, welche die einzelnen Knoten bildeten, ein wesentlicher Theil der Verstärkungsarbeiten bei den österr. Staatsbahnen. Aus Ersparungsrücksichten legte man bei vielen Eisenbrücken die Querschwellen unmittel bar auf die Obergurten, ohne auch die Bruch wirkung, welcher ein Gurttheil zwischen zwei Knotenpunkten ausgesetzt wurde, in Rechnung zu ziehen. Bei vielen älteren Brücken wurde bei der Dimensionirung der einzelnen Teile der Gur tungsquerschnitte das Stehblech in viel zu ge ringer Dicke angenommen und dadurch infolge der Nietdrücke eine übergrofse Beanspruchung in dasselbe gebracht. Die zu grofse Beanspruchung in den Loch leibungen verursachte, begünstigt durch das min- derwerthige Material, das in der Querrichtung äufserst geringe Dehnung hat, ein Aufspringen der Lochränder und eine schliefsliche Zerstörung des Slehbleches in der Gegend der Streben anschlüsse. Die Behebung der beiden genannten Schwächen älterer Brücken war gleichfalls eine Sorge bei den Verstärkungsarbeiten. Wenn auch anzunehmen ist, dafs bei gutsitzender Nietung ein eigentlicher Druck auf den Niellochleibungen des Stehbleches nicht auftritt, so durfte doch nicht darauf gerechnet werden, da lose Nieten längere Zeit bestehen können, ehe die wiederkehrenden Untersuchungen der Brücken diese lose Nieten aufdecken. Die Sicherung der Eisenconstructionen gegen seitliche Formänderungen, wie sie durch die Seitenschwankungen der Fahrzeuge oder durch den Winddruck hervorgerufen werden können, wurde bei den älteren Brücken oft in allzu ge ringem Mafse berücksichtigt, und doch können diese Formänderungen einen bedenklichen Gharak- [ ter annehmen und die Neigung des Druckgurtes zur seitlichen Ausbiegung sehr unterstützen. Bei offenen Brücken ist die Sicherung der Obergur tungen gegen seitliche Ausbiegungen eine Haupt aufgabe des Constructeurs, und sind die Ober gurten durch bis an die Querträger gehende Verstei- fungsdiafragmen zu schützen. Bei Brücken mit gekrümmten Obergurtungen müssen die oberen Querverbindungen an denjenigen Stellen auf hören, wo das Lichtraumprofil solche nicht mehr zuläfst. Infolgedessen werden die horizontalen Auflager kräfte des oberen Windverbandes nicht mittels -der Endständer auf die festen Auflagerstellen der Brücke wirken können und eine Uebertragung auf die Untergurtungen, welche einen vollständi gen, bis an die Auflager reichenden Horizontal verband besitzen, mittels der, an der Stelle des Aufhörens des oberen Verbandes, bestehenden Gitterstreben der Trägerwand suchen. Diese Gitterstäbe müssen daher eine genügende Festig keit gegen Biegung senkrecht zur Wand erhal ten, was nicht immer berücksichtigt wurde. Es würde zu weit führen, alle Punkte anzuführen, bezüglich welcher eine Untersuchung der älteren Brücken vorgenommen wurde, doch soll noch erwähnt werden, dafs die Lagerung der Brücken nach Ansicht vieler ehemaliger Constructeure eine beiderseits feste sein sollte und dafs demgemäfs die Eisenbrücken an beiden Enden auf feste, un bewegliche Auflager gelegt, ja in einzelnen Fällen sogar eigens verkeilt wurden. Von einer unge hinderten Ausdehnung, beziehungsweise Zusam menziehung der Construction bei auftretenden Temperaturdifferenzen konnte somit keine Rede sein. Die mitunter bedeutenden Kräfte wurden bei sehr steifen Brücken vom Widerlager auf genommen und verursachten ein Lockerwerden der Auflagerquadern, wo dies nicht der Fall war, mufsten diese wagerechten Kräfte die Con- struction selbst in ihrer Form ändern. Bisher wurden die wesentlichsten Construc- tionsmängel und der Einflufs von minderwerthigem Material besprochen, es erübrigt nunmehr darauf hinzuweisen, dafs für die Beurtheilung der Be triebssicherheit eiserner Brücken die Ueberein stimmung der Rechnungslasten mit den thatsäch- lieh auftretenden Verkehrslasten aufserordentlich wichtig ist. Als die ersten Eisenbahnbrücken gebaut wurden, war der Eisenbahnverkehr noch unentwickelt und waren die Locomotiven klein und von geringem Gewicht. Die schwersten Lastzugs- maschinen hatten höchstens 30 t Gesammtgewicht bei einem maximalen Achsdruck von 7 bis 8 t. Bei Fehlen einer gesetzlich vorgeschriebenen Be lastungsziffer für die verschiedenen Spannweiten, war es den einzelnen Constructeuren überlassen, die geeignet scheinende Rechnungslast für die statische Bestimmung der Kräfte anzunehmen. Je nach der Tüchtigkeit des Constructeurs waren