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Januar 1892. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 2. 101 Die Berechnung des Schwungrades bietet nichts Neues; sie wird mit den bekannten vereinfachenden Annahmen durchgeführt, welche für einigermafsen gleichmäfsigen Gang zulässig sind. Manche werthvolle Angabe über Zapfen, Riemen, Seile enthalten die „Constructions-Rücksichten“. Zu diesem reichen Material kommen mehrere theoretische Anhänge, welche sich auf die Hauptkapitel beziehen, sowie drei werthvolle, umfangreiche Tabellen über Dimensionen, Gewichte und sonstige Verhältnisse aus geführter Maschinen. Fast durch sämmtliche Kapitel zieht sich wie ein rother Faden des Verfassers An sicht über den Druckwechsel in den Gelenkpunkten, also am Kurbel- und Kreuzkopfzapfen. Es möge ge stattet sein, das Wesentliche davon hier wiederzu geben. Nach Radinger ist: a) der Druckwechsel vor Eintritt in den todten Punkt „ungefährlich“, jedoch soll er nur ganz in der Nähe des todten Punktes stattfinden; es ist unrichtig, die Compression wesentlich gröfser zu machen, als hierzu zweckdienlich; b) der Druckwechsel im todten Punkt principiell richtig, er liegt im Wesen der Dampfmaschine und findet völlig gefahr- und stofsfrei statt; c) der Druckwechsel nach Ueberschreitung des todten Punktes eine höchste Gefahr für den Bestand der Dampfmaschinen; er mufs von Stöfsen oder Vi brationen begleitet sein und wird um so gefährlicher, je weiter vom todten Punkt entfernt er auftritt; diese Gefahr läfst sich durch genaue Lagereinstellung nicht beheben, da bei noch so geringem Spiel ein Druck mindestens gleich dem vollen Dampfdruck urplötzlich auf die Zapfen wirkt. Unsere Ansicht ist in Kürze folgende: Soll beim Druckwechsel das Schalenspiel durch laufen werden, so müssen die anfänglich gleichen Geschwindigkeiten von Zapfen und Schale verschieden werden. Die Intensität des Stofses wächst mit der Relativ-Geschwindigkeit im Moment des Auftreffens. Vor und im todten Punktsteigen die auf die Massen wirkenden freien Kräfte während des Durchlaufens jenes Spieles von Null stetig an — im ersten Fall unter dem Einflufs der Compression, im zweiten unter dem des Dampfeintritts. Je langsamer das Ansteigen stattfindet, um so geringer wird, unter sonst gleichen Verhältnissen, die Relativ-Geschwindigkeit beim Stofse. Bei allen uns bekannten, gut gesteuerten Maschinen, mit Ausnahme der seltenen Fälle, in denen vollkom mene Compression stattfindet, steigen die Dampfdrücke während des Dampfeintritts schneller als während der Compression. Hierin liegt der erste Grund dafür, dafs der Stofs vor dem T. P. (todten Punkt) sanfter ist als i m T. P. In der Nähe des T. P. ist die Horizontal- Projection der Kurbelzapfengeschwindigkeit nahezu gleich Null. Die zum Durcheilen des Schalen spieles erforderliche Zeit ist deshalb direct aus der Geschwindigkeit des Druckanstieges zu bestimmen. Vor dem T. P. liegen die Verhältnisse anders. Die Horizontalgeschwindigkeit des Zapfens nimmt ab. Die zum Druckwechsel benöthigte Zeit ist, auch bei gleichem Druckanstieg, gröfser als im vorigen Falle, weil der Zapfen relativ zurückweicht. Ist aber diese Zeit eine gröfsere, so ist die relative Endgeschwindig keit eine kleinere. Dieses ist der zweite Grund für die gröfsere Sanftheit des Stofses vor dem T. P. A. Ritter hat in einer neueren Untersuchung über den geraden, centralen Stofs gezeigt, dafs die dabei auftretenden Stofsdrucke, selbst bei geringen Geschwindigkeiten, ganz aufserordentlich hoch werden können. Aehnlich sind die Umstände beim Stofs im T. P., da die gestreckte Kurbel im Hauptlager ein nahezu starres Widerlager findet. Die widerstehende Masse liegt vorwiegend im Maschinenrahmen und dem damit verbundenen Fundament. Bei gehobener oder gesenkter Kurbel ist hingegen die widerstehende Masse nur theilweise im Rahmen; ein anderer Theil liegt im Schwungradkranz. Die Welle und die Schwung radarme dienen als zwischengelegte, stofsmildernde Torsions- und Biegungsfedern. Für die Vorzüge des Wechsels vor dem T. P. ist das der dritte Grund. Er wird um so wirksamer, je mehr die Kurbel von der Todtlage abweicht. Endlich zeigt die Erfahrung, dafs grofse Walzen zugmaschinen mit hoher Compression tadellos ruhig gehen, solange die Condensation abgekuppelt ist, dafs sie aber zu stofsen beginnen, wenn die Conden sation hinzukommt, d. i. wenn der Druckwechsel unter dem Einflufs des Voreintritts, aber, wegen genügender Voröffnung, durchaus nicht nach dem T. P. erfolgt. Als weiteres Beispiel kann eine grofse Walzwerks maschine gelten, welche bei 80 Touren, 1500 mm Hub und 5000 bis 5500 kg bewegte Gestängemassen, mit einem Schalenspiel von vier Zehntel mm beträcht lich vor dem T. P. unhörbar ruhig wechselt. Die Nachbarinnen dieser Maschine bedürfen sehr genauer Schaleneinstellung, und deshalb gröfser Aufmerk samkeit, um die Druckwechsel in den T. P. erträglich zu machen. In zahlreichen Erfahrungen dieser Art liegt für uns ein vierter Grund, alle Walzenzugmaschinen mit Compressionen zu versehen, die nach Radinger zu grofs erscheinen, und den T. P. als Stofsort vorsichtig zu meiden. Praktische Schwierigkeiten haben sich bei guter Gonstruction hierfür nirgendwo gezeigt. Schwieriger zu beurtheilen ist der Stofs nach dem T. P. Findet er in der Nähe der gestreckten Kurbellage statt, so dürfte er unbedingt zu verwerfen sein. Auch im übrigen sind wir der Meinung, dafs man ihn vermeiden solle, wo immer es angängig ist. Für so ganz gefährlich können wir ihn indefs nicht halten. Unsere Walzwerks - Reversirmaschinen mit Vorgelege, sowohl die grofsen zum Walzenzug die nenden, als auch manche für Nebenzwecke, haben sehr häufig diese Art von Druckwechsel. Sie gehen trotzdem seit langen Jahren ruhig und sicher. Die Gründe hierfür haben eine gewisse Aehnlichkeit mit den vorhin unter Nr. 3 angeführten. Die meist geringen rotirenden Massen wirken besonders günstig. Wenn wir auch in diesen und einigen anderen, weniger wichtigen, Punkten nicht einer Meinung mit dem Verfasser sind, so empfehlen wir doch jedem Dampfmaschinenbauer das eifrige Studium des hoch bedeutenden Werkes — Anregung und Belehrung bietet es auch dort, wo die Sätze nicht ganz einwand frei sind. Düsseldorf-Rath, den 21. December 1891. C. Kiefselbach. Aufserdern sind uns nachfolgende Schriften zu gegangen, deren Besprechung vorbehalten bleibt: Aug. Sartori, Geh. Commerzienrath, Kiel und der Nord-Ostsee-Kanal. Mit 3 Anlagen. Kiel 1891. K. Effertz, Generaldirector, Was sind „normale“ Kohlenpreise? Essen 1891, G. D. Baedeker. Emil Götze, Sammelbuch der Bescheinigungen über die Endzahlen aus der Aufrechnung der Quittungskarten der Invaliditäts- und Alters versicherung. Berlin W, Gari Heymann. Emil Gregorovius, Der Himmel auf Erden in den Jahren 1901 bis 1912. Leipzig 1892. Fr. W. Grunow.