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oder wie der schlichte Mann zu sagen pflegte: der Bismarck wird’s schon recht machen! Es war das nicht ein Opfer des Inteliects, das wir un freiwillig darbrachten ; sondern es war ein auf vielfacher Erfahrung beruhendes Gefühl der Sicher heit, dafs an dem Steuerruder ein Pilot stehe, der unser Schiff, das Schiff unseres lieben, grofsen, schönen deutschen Vaterlandes nicht auf Klippen fahren, nicht sinken lassen werde. Dieses Gefühl der Sicherheit gab uns die Gröfse, die Alles überragende geistige Gröfse des Mannes, die sich jeder Schwierigkeit gewachsen, jeder Gefahr überlegen zeigte. Sie alle kennen die Bismarckbilder von Lenbach, die Bismarck büste von Donndorf. Sie zeigen uns den Mann der Kraft und der That, den Mann des eisernen Willens, wie er zu der Kürassieruniform zu ge hören, mit ihr verwachsen zu sein scheint. Aber diesen Köpfen allen fehlt doch die im Alter mehr und mehr heraustretende Durchgeistigung und Vergeistigung, es fehlt ihnen die fein gemeifselte Vornehmheit des Schädels; denn dieser Tempera mentsmensch voll Leidenschaft und voll Willen ist zugleich auch der kühle Rechner, der Meister eines tiefdurchdachten Spieles, ein Schlachten denker so fein wie Moltke, nur dafs seine Schlachten auf einem andern Felde geschlagen werden mufsten. Was in diesen Schlachten und Kämpfen der Eine Mann werth gewesen ist, wir wissen es alle. Ich darf darum hier nicht erzählen, was wir selbst miterlebt haben und was in seinem Re sultate sichtbar uns vor Augen liegt: Wie er erst der öffentlichen Meinung und dem Willen des preufsischen Abgeordnetenhauses zum Trotze seinem König die Waffe der Heeresorganisation schmieden und immer neu sie schärfen half, die uns in beispiellosem Siegeslauf von einer Station zur andern geführt hat; wie er unbekümmert um die kosmopolitischen Sympathieen unseres damals noch politisch so wenig geschulten Volkes durch seine Haltung im polnischen Aufstand sich Rufsland verpflichtete; wie er im unvergleich lich feinen Schach- und diplomatischen Intriguen- spiel Oesterreich sich verbündete, um gemeinsam mit ihm das altdeutsche Land an der Eider uns wieder zu gewinnen; wie er dann, umringt von einer Welt von Schwierigkeiten, den Gordischen Knoten der deutschen Frage mit starker Faust durchhieb und zuerst im Norddeutschen Bunde, dann unter dem Sturmeswehen eines uns alle einigenden nationalen Krieges das neue Deutsche Reich geschaffen und Preufsens König die Kaiser krone aufs Haupt gesetzt hat. Und was er werth sei, haben wir erfahren, als er uns 20 Jahre hindurch das köstliche Gut des Friedens bewahrte, den alten Waffengenossen von 1866 und den Gegner von damals zu einer mächtigen Friedens liga mit dem Deutschen Reiche verband, und einem in allzu viele Parteien und Fractionen auseinanderfallenden Parlament gegenüber das neue Haus so wohnlich einrichtete, dafs es doch allmählich selbst den Widerspenstigsten recht leidlich darin zu gefallen schien. Aber gerade weil wir den Einen so Grofses haben vollbringen sehen, deshalb haben wir übrigens einigermafsen das Verantwortlichkeits gefühl verloren und sind in unserer Mitarbeit lässig geworden. Stark sind wir Deutschen immer vor Allem in der Kritik gewesen, und darum dürften wir eigentlich auch ein gewisses nörgelndes Kritisiren an Bismarcks Gröfse nicht allzu tragisch nehmen. Wenn wir begehren, dafs man Bismarcks Eigenart nehme, wie sie ist, so müssen wir auch die deutsche Unart hinnehmen, wie sie nun einmal ist. Aber Alles hat seine Grenzen und seine Zeit. Seine Grenzen: diese aber sind, wie mir scheint, der Gröfse Bismarcks und gegenüber dem, was wir ihm schulden, weit, weit über schritten , und deshalb erhebt sich heute von allen Seiten die Stimme des Unmuths, der laute Protest. Und Alles hat seine Zeit: solange er dastand und mit seiner Einen mächtigen Gestalt uns schützte gegen die Pfeile von aufsen, und im Innern die Last des Ganzen auf sich nahm, so lange konnten wir uns in Sicherheit wiegen und uns der Verantwortlichkeit enthoben glauben. Heute gilt es für den Deutschen, wieder selb ständiger zu werden und, wo es noth thut, ohne Menschenfurcht auf seinem Platze zu stehen, heute gilt es, wie Bismarck einmal gesagt hat, in den Sielen zu sterben, d. h. bis zum letzten Augenblick auszuharren im Dienste für das Ganze, im Dienste für das Vaterland. M. H. 1 Wir alle wissen, welches im Augen blick die gröfse, im Innern die alles Andere ver schlingende Frage und Aufgabe ist — die sociale. Unsere heutigen Parteien sind politische Parteien, und darum wollen sie dieser Aufgabe gegenüber den Dienst versagen und nicht mehr recht zu sammenhalten. Eine neue Parteibildung unter socialen Gesichtspunkten bereitet sich unverkennbar vor, wenn sie auch einstweilen nur als Zersetzung der alten Parteien zu Tage tritt, und wenn einer wachsenden particularistischen Strömung gegen über eine nationale Partei heute wieder mehr am Platze ist als je. Zu jener neuen Frage gilt es Stellung zu nehmen, hier gilt es zu lernen. Und auch darin ist uns Bismarck sozusagen vorbild lich. Nicht umsonst ist er der Liebling unserer akademischen Jugend geworden, wie er stets eine besondere Vorliebe für sie gezeigt hat. Er selbst hat etwas von der ewigen Jugend des Studenten. Nicht nur, dafs er als alter Corpsbursche jederzeit bereit war, auf die Mensur zu treten, nicht nur dafs er an dem Ideal der Burschenschaft von Kaiser und Reich festgehalten hat,’ wie kein Anderer, auch unseren fleifsigsten Studenten zeigte er sich darin ähnlich, dafs er lernte, dafs er bis in sein hohes Alter lernte, wie sie. Ja