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80 Nr. 1. „STAHL UND EISEN.“ Januar 1891. und die Zeit ist dort vorbei, wo Eisenbahnzüge einem auf dem Bahnbette dahinstürmenden Rudel Hirsche nachjagen und der »Kuhfänger« der Loco- motive im wahren Sinne des Wortes zum Hirsch fänger wurde. Mit den Indianern sind auch diese Erschei nungen des amerikanischen Lebens weiter nach dem Westen gezogen, und wer heute noch die Eilwagen alten Schlages, die »Stages«, mit Pack esel sehen will, der mufs nach Arizona, Colorado, Utah, Montana, Idaho, Californien und Nevada gehen mit ihrem gebirgigen Charakter, diesen Gegenden mit ihren unzugänglichen Schluchten und tiefen »Canons«, in denen es um 9 Uhr Morgens Tag und um 3 Uhr wieder dunkel wird. In vielen dieser Gegenden ist der Maulesel das einzige Transportmittel, und wird es wohl auch noch für lange Zeit bleiben. In Amerika werden diese Thiere sehr viel gezüchtet und häufig anstatt der Pferde verwendet (auch bei Strafsen- bahnen). In Kohlengruben findet man fast keine Pferde im Gebrauch, da die Maulesel gesund bleiben, wo die ersteren zu Grunde gehen. In der Armee der Ver. Staaten, in den entlegenen Forts, werden nur Maulthiere zum Transport gebraucht. Das Packen eines Maulesels ist eine Kunst, die gelernt sein will, und schon mancher Gold sucher (Prospector) und manche Reisepartie ist in schwere Verlegenheit gekommen, weil sie das Packen der Maulesel nicht verstanden. Wenn unrichtig gepackt und geschnürt ist, lösen sich die Stricke, der Proviant geht verloren, das Koch geschirr fällt polternd, ein Stück nach dem andern, herab, macht die Thiere scheu, und das Unheil ist fertig. Die folgende Uebersetzung der Beschreibung einer solchen Scene aus dem San Franciscoer »Examiner« vom 2. November 1890 mag den Lesern einen richtigen Begriff dieser Landeseigenthüm- lichkeit geben. „Ho! Ho da! du Belialssohn eines wilden Esels, willst du wohl halten?“ Die Santa Inez- Schlucht in Colorado wiederhallte von diesem Ge schrei eines zornigen Mannes, welcher über Stock und Stein den felsigen, engen Gebirgspfad hin unter einem leichtfüfsigen Maulesel nachsprang, der aber wahrscheinlich die Rufe nicht hörte, denn mit jedem Sprunge des Thieres fiel ein Blechgeschirr, ein Theekessel oder sonst ein Aus rüstungsgegenstand aus dem Pack auf des Maul esels Rücken und rollte klappernd den steinigen Abhang hinunter, das Thier noch scheuer machend. Jedes neue Geklapper trieb dasselbe zur gröfseren Schnelligkeit an, und der Eigenthümer folgte fluchend und scheltend, so gut es gehen wollte. Die im englischen und spanischen Jargon von den Felsen wänden wiederhallenden Flüche waren übrigens in höchst unparteiischer Weise zwischen dem Maulesel und dem ungeschickten Packer vertheilt, dem Eigenthümer des Thieres, der augenscheinlich von kunstgerechter Packung eines Maulesels nichts verstand und sich dessen auch bewufst war. „Hei da! Carajo! jetzt geht auch der Mehlsack in den Bach. Verdammter Esel ich, dafs ich den Esel nicht besser packen konnte; da geht jetzt der Ofen zum T—. Da, jetzt fallen die Kartoffeln bereitwillig herlieh, auf die Bärenjagd gingen. Nach zweistündigem Klettern durch den Urwald sah man im Gestrüpp etwas Bewegliches, das man für das Hintertheil eines Bären ansah; fest gestellt wurde es nicht, weil ein dorthin ab gegebener Schufs fehlging. E. S. ’runter, so! und jetzt kann ich die Bohnen einzeln zwischen den Steinen zusammensuchen; lauf zu, du Ausgeburt eines Donkeys!“ Schliefslich ging dem Manne die Geduld und der Äthern aus. Schweifstriefend setzte er sich auf einen Stein, zog seinen Revolver und jagte dem Maulesel ein halbes Dutzend Schüsse nach. Dann zog er seine Pfeife aus der Tasche und rauchte eine Viertel stunde gemüthlich, als wenn nichts vorgefallen wäre. Ein paar hundert Fufs tiefer, am Ende des Pfades, sah er den Maulesel halten, mit dem Pack strick um die Hinterfüfse gewickelt, vom Inhalt des Packs war aber nicht das Geringste auf dem Rücken desselben geblieben. Schliefslich stand der Prospector auf, und langsam den Berg hinuntergehend, suchte er einige der verlorenen Sachen zusammen. Hier der zerrissene Mehlsack, dort ein Stück Hammel fleisch, eine Handvoll Bohnen, einen Blechkessel und so fort. Als er sich der Wiese näherte, auf welcher sein Maulesel jetzt ruhig graste, kam ein Trupp Cavallerie unter der Führung eines Lieutenants durch das Thal herangesprengt. Zwei der Caval- leristen flankirten den Maulesel und fingen ihn ein. Die übrigen begannen eine Untersuchung der Gegend, und bald entdeckten sie den durch die Schlucht sich nähernden Prospector. Der Lieutenant ritt ihm entgegen und fragte ihn, was los sei, was die Schüsse bedeuteten, ob ihm vielleicht Indianer den Weg verlegt hätten. „Nichts dergleichen,“ antwortete der Mann. Indianer hätte er keine gesehen, sondern nur den dümmsten Maulesel in Colorado, — ausgenommen sich selbst. Mittlerweile waren die zwei Soldaten heran gekommen, welche den Maulesel eingefangen hatten, und der eine, welcher den verwickelten Packstrick zu entwirren suchte, sagte: „Herr Lieutenant, ich weifs, wo’s gefehlt hat.“ „Nun, was denn?“ fragte der Offizier. „Tenderfoot-Schlinge,“ * war die kurze Ant wort des Soldaten. „Ganz richtig,“ sagte der Eigenthümer des Thieres, „und ich bin selber Esel genug, dafs ich dieselbe Schlinge nicht zweimal machen kann.“ „Suchen Sie Ihre Sachen zusammen, und meine Leute werden Ihnen Ihren Maulesel packen,“ erwiderte der Offizier. „Kann vielleicht einer derselben die Diamant schlinge machen?“ fragte der Prospector etwas zweifelhaft. „Dies ist eine Abtheilung von der 1. Compagnie 4. Cavallerie-Regiments,“ erwiderte der Offizier. „O, dann ist ja Alles gut,“ rief der Prospector, und die Schlucht hinaufeilend, suchte er die ver lorenen Sachen zusammen und übergab sie den Soldaten. Zwei der letzteren waren abgestiegen und machten erst den Sattel des Maulthieres zurecht. Derselbe war von Leder, viereckig und an einem breiten Gurt befestigt, der an den Flanken des Thieres auf beiden Seiten bis zum Schweif reichte. Mit Heu ausgestopft, ruhte er auf einer mehr mals gefaltenen wollenen Decke, um den Rücken und die Flanken des Thieres zu schützen. Ein breiter Bauchgürtel mit Schnallen hielt den Sattel im Platz. * Tenderfoot, Zartfüfsler, Leisetreter werden im Westen der Ver. Staaten diejenigen benannt, welche mit den Sitten, Gewohnheiten und Eigen- thümlichkeiten der Bewohner des Westens, nament lich der Pioniere, noch nicht vertraut und unsicher in ihrem Auftreten und Benehmen sind. P. E.