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In zwar weniger nüchterner Form, aber in ebenfalls recht anschaulicher Weise schildert ein lateinisches Gedicht aus dem Jahre 1517, welches in französischer Uebersetzung in den Annales des Mines vom Jahre 1837 (serie III, tome II, p. 137) wiedergegeben ist, den Hochofenbetrieb der damaligen Zeit. Der Verfasser ist der Sohn des Eisenwerksbesitzers und offenbar voll Be geisterung für den väterlichen Beruf. Er beschreibt zunächst die Gewinnung der Holzkohlen im Walde, dann die Form des Hochofens, welcher an dem Ufer des Flusses Barsa* gelegen sei: ein Kolofs von quadratischer Form, äufserlich grob aus ge wöhnlichen Steinen, innerlich aus harten Sand steinen erbaut, welche in bewundernswerthem Mafse der Zerstörung durch die Hitze Widerstand zu leisten vermögen. Zwei ungeheure Blasebälge aus Rindsleder speisen von der Rückseite aus den Ofen, indem sie abwechselnd sich füllen und entleeren und einem Rade gehorchen, welches vom Wasser gedreht wird. Vor dem Ofen be findet sich der Schmelzer; er läfst das Gufseisen aus dem Ofen fliefsen, regelt die Bewegung der Bälge und entfernt die Schlacken. Er wacht Tag und Nacht; man sagt, dafs er kaum eine halbe Stunde täglich Schlaf fände, und in den zwei Monaten, während welcher der Ofen im Betriebe ist, hört seine Mühe nicht auf . . . Ein zweiter Arbeiter ist der Gehülfe des Schmel zers; er verharrt wie ein wachsamer Posten oben auf dem Ofen und schüttet frische Holz kohlen und Erze nach, sobald Platz dafür ge worden ist. Bei ihm halten sich noch andere Arbeiter auf, welche aus Lehm Gufsformen dar- stellen, in die sie das Gufseisen hineinfliefsen lassen, um solcherart Bomben und Mörser zu giefsen. Es folgt nun die Beschreibung des Frisch feuers nebst Hammers, von dessen Schlägen „die Luft, die Berge und Thäler wiederhallen bis in ihre innersten Tiefen“. Schliefslich ist auch die Auslohnung der Arbeiter am Wochen- schlufs geschildert: „Man sieht den Köhler, den Platzarbeiter, den Schmelzer, die Schmiede her beikommen; sie versammeln sich zur Empfang nahme des Lohns und gehen vergnügt davon. Ueber.den Verdienst jedes Arbeiters führt mein Vater ein Buch, um Niemandem seinen recht- mäfsigen Lohn zu schmälern. Wenn die Arbeiter nun ihren Verdienst in der Tasche haben, kommen sie zusammen, um die erlittenen Mühsale in er sehnter Ruhe zu vergessen. Wein und Fröh lichkeit beleben sie. Einer trinkt dem Andern zu, welcher noch hungrig an einem Knochen nagt; Jener ist zur Erde gesunken, vom Schlafe übermannt infolge des schlechten Weins, den er getrunken. Allmählich greift eine unerhörte Ver * Vermuthlich ist Barsa nur die lateinische Be zeichnung für Barse, ein Nebenflüfschen der Seine im Departement Aube. Brauneisenerze und oolithische Erze treten in dortiger Gegend auf. wirrung Platz; sie schwatzen die verschieden artigsten Dinge durcheinander, und das Haus erschallt von ihrem Geschrei. Wenn man sieht, wie die Becher durchs Zimmer fliegen, TSche umgestürzt werden und oft Blut fliefst, glaubt man Wilde vor Augen zu haben; So verzehrt oft ein einziger Tag die Früchte der Mühe, welche sie Tag und Nacht zu ertragen hatten, und versetzt sie aufs neue in Dürftigkeit.“ Das war im Jahre 1517. „Tout comme chez nous“ wird vielleicht noch heute dieser oder jener Leser denken. Aus der Kindheit trat der Hochofenbetrieb in das Jünglingsalter,, als die noch jugendlichen Wissenschaften, Chemie und Physik, als hülfreiche Genossinnen ihm sich beigesellten, anfangs zagend, im Laufe der Zeit aber immer erfolgreicher seine bisherige Führerin, die blinde Ueberlieferung, ver drängend. Es war das im Laufe des vorigen Jahr hunderts. Dennoch finden wir auch im Laufe des 19. Jahrhunderts noch manche Gewohnheiten aus der Kindheit des Hochofenbetriebes beibehalten. So z. B. wohnte noch in den fünfziger Jahren zu Tanne im Harze ein Mann Namens Köhler, in dessen Familie das grofse Geheimnifs des Anblasens der Hochöfen und des Auswechselns der Windformen seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn forterbte, und der nach allen be nachbarten Eisenwerken berufen wurde, wenn dort eine solche Arbeit zu vollbringen war. Kein Betriebsbeamter oder Schmelzmeister hätte es gewagt, ohne die Hülfe dieses wichtigen Mannes die Arbeit auszuführen. Jetzt lächeln wir über einen solchen Mangel an Selbstvertrauen ; aber auch im Menschenleben finden wir nicht selten Schwächen, die in der Kindheit uns zur Gewohnheit geworden sind, noch in spätem Alter beibehalten. Das Mannesalter des Hochofenbetriebes be gann im neunzehnten Jahrhundert, als nach Ein führung der Eisenbahnen der Eisenbedarf mächtig gesteigert wurde. Die Anwendung der Dampf kraft für die Hochofengebläse und der Wind erhitzung leiteten diesen Zeitabschnitt ein. Der Hochofen warf die dicken Hüllen ab, mit welchen man während seiner Jugend ihn vor Abkühlung zu schützen gemeint, aber auch sein Wachsthum gehindert hatte, und entwickelte sich zu un geahnter Gröfse und Leistungsfähigkeit; bei dem Betriebe aber war der auf wissenschaftliche Forschung gegründete Weg an Stelle des blinden Versuchs getreten. Ob auf das Mannesalter auch ein Greisen alter folgen wird, in welchem der Hochofen betrieb, wie verschiedene Betriebsweisen vor ihm, allmählich abstirbt, um durch neue Verfahren ersetzt zu werden? Es dünkt uns kaum wahr scheinlich ; aber schon manche Wandlungen sind geschehen, die man früher für unmöglich ge halten hätte.