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Unser Weihnachtsfest. Vom Hüttendirector Karl Biedermayer. GGO „Komm heute Abend etwas früher heim,“ bat die umsichtige Gattin, „wir wollen Punkt 6 Uhr bescheeren, sonst kann ich die Kleinen nicht zeitig ins Bett kriegen.“ „Deine Wünsche sind mir immer Befehle,“ antwortete ich folgsam, wie’s einem guten Ehe mann geziemt. „Na, na,“ meinte Jene lachend, „wenn ich deiner Meinung bin, dann erhalte ich Recht, aber niemals beim Gegentheil.“ Der Bureauvorsteher sorgte infolge eines Win kes von oben, dafs vor dem sonst üblichen Ge- schäftsschlufs Alles erledigt war, denn auch die Beamten hegten gleiche Wünsche. Berufenere Federn als die meine haben das deutsche Weihnachtsfest geschildert, aber das darf ich sagen: bei uns ging's recht gemüthlich her. Die Kinder konnten kaum den ersehnten Augen blick der Bescheerung erwarten. Der kleine Max hatte sorglich Heu vor die Hausthür für des heiligen Christ Eselein gestreut, das die schönen Geschenke für artige Kinder trägt. Wie eine wilde Jagd stürmte die Schaar ins Zimmer, als endlich die Klingel ertönte, auch die Dienstboten fehlten nicht. Der mächtige Christbaum strahlte in hellem Glanz. Jeder suchte nach seinen Gaben. Da waren aufser den kleinen Sachen und den üblichen Leckereien: für den ältesten Sohn, den Primaner Karl, die ausgewählten Werke Walter Scotts in hübschem Einband, ferner ein Geld täschchen mit entsprechendem Inhalt; für den Backfisch Amanda eine vollständige Pelzausrüstung und ein Paar Patentschlittschuhe : für Hans eine Armbrust und eine wirkliche Soldatentrommel; für Klara und Martha Puppen und ein wahres Prachtstück von Küche; für den Jüngsten, Max, allerlei Spielsachen und ein Sammtanzug, auf welchen er nicht wenig stolz war, denn Jacke und Hosen trugen echten Knabensehnitt, im Gegensatz zur bisherigen Gewandung; für die Mägde Geld und Kleidungsstücke; für mich aber ein Topf besten Ingwers, den ich sehr liebe, eine Reise- mütze, eine Reisedecke und eine von Amanda gehäkelte Schlummerrolle; unnütze Stickereien hatte ich mir ein- für allemal verbeten. Meine Frau erhielt einige Hundertmarkscheine zur freien Verfügung, weil nach ihrer Meinung Männer stets ungeeignete Dinge kaufen und obendrein dabei meist geprellt werden. Die vier Jüngsten sangen ein altes Weihnachts lied, das die Privatlehrerin ihnen beigebracht. Die feinen, klaren Stimmen klangen überaus lieb lich, so dafs uns vor Rührung die Thränen in die Augen traten. „Aber nun, Kinder, ist's Zeit, dafs wir aus löschen,“ mahnte die Mutter, „die Kerzlein müssen bis Neujahr reichen.“ Es kostete Mühe, die Klein sten zur Einnahme ihres Nachtmahls zu bewegen und endlich ins Bett zu bringen. Uns wurde Thee, kalter Aufschnitt und Reibe kuchen aufgetischt. Der Stammhalter entwickelte wie gewöhnlich eine staunenswerthe Efslust, ein Dutzend Reibekuchen nebst reichlichen Zulagen genügte kaum. Meine Frau konnte ihre Bedenken nicht verhehlen: „Karl, du wirst schlecht schlafen, wenn du dir den Magen so vollpfropfst.“ „Mutter, mach’ dir deshalb keine Sorgen. Plenus venter non studet libenter, ein voller Bauch studirt nicht gern, doch schläft er vor trefflich,“ antwortete das Söhnlein und spiefste den dreizehnten Kuchen aus der Schüssel. „Der Junge ist im Wachsen begriffen,“ be schwichtigte ich die Mutter; „aber was meinst du, Julchen, zu einem leichten Weinpunsch, den du so vortrefflich zu bereiten verstehst?“ Der Vorschlag fand allseitigen Beifall, und bald erschien das dampfende Gefäfs, dessen Inhalt Niemand gefährlich werden konnte, denn für die nöthige Unschuld des Getränkes war gesorgt. Die Kinder zogen sich nach 10 Uhr zurück; eine Stunde später ihnen folgend, bemerkte ich Licht in Karls Zimmer. Der Junge verschlang, im Bett liegend, Scotts »Ivanhoe«, und würde ohne meine Mahnung sicherlich die halbe Nacht durch gelesen haben. Andern Morgens konnten wir die Kleinen kaum am Frühstückstisch festhalten, die neuen Spielsachen übten ihre unwiderstehliche An ziehungskraft. Karl schielte sehnsüchtig nach den Resten des kalten Aufschnitts hin, den meine Frau mir vorgesetzt. Lachend schob ich ihm den Teller zu. Er strich sich das vierte und fünfte Butterbrot, belegte jedes dick mit Fleisch und bat um die dritte Tasse Kaffee. Hinterher vertiefte er sich wieder in den »Ivanhoe«, erachtete jedoch gegen Mittag einen Spaziergang räthlich zur Er zeugung des nöthigen Appetits für das Mittags mahl, nach dessen Zusammensetzung er sich vor her erkundigte. Die Schwägersleute in Berlin hatten eine prachtvolle Gans gesandt, welche die Festspeise bilden sollte. „Bitte, seid Alle mäfsig beim Rindfleisch, da mit ihr dem Braten die rechte Ehre erweisen könnt,“ bat die Hausfrau. „Daran soll’s nicht fehlen,“ beruhigte Karl seine Mutter. Ein brenzliger Geruch drang aus der Küche ins Speisezimmer. Entsetzt sprang meine Gattin auf, aber zu spät, das Unglück war bereits ge schehen und der .Gansvogel arg angebrannt. Die unachtsame Köchin erhielt den verdienten Rüffel, der jedoch den Braten nicht wieder schmackhaft machte. Karls Entrüstung kannte keine Grenzen, in längerer Rede erging er sich über die Un zuverlässigkeit des weiblichen Geschlechts im all gemeinen und der Köchinnen im besonderen, bis die ärgerliche Muttei- ihm Schweigen gebot. „Das entkräftet meine Behauptungen nicht, und hört bei solchen Grundsätzen überhaupt jede vernünftige Erörterung auf,“ entgegnete der Kecke, so dafs ich ihn ernstlich an die seinen Eltern schuldige Ehrfurcht mahnen mufste. Am gleichgültigsten blieben die anderen Kinder. Der gut gerathene Reisauflauf, dessen Anfertigung die Köchin zu sehr beansprucht und deshalb das Unglück hauptsächlich veranlafst hatte, entschädigte die Leckermäuler reichlich. Amanda wollte ihre neuen Schlittschuhe ein weihen, Karl sollte sie aufs Eis begleiten. Das Mädchen sah allerliebst in der bescheerten Pelz jacke und Pelzmütze aus. Voll mütterlichen Stolzes prüfte Mama den Anzug des Töchterleins und schaute den Beiden durchs Fenster nach. „Ganz dein Ebenbild,“ meinte ich; „in einigen Jahren ist sie so reizend wie mein Julchen zur Freierszeit.“