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In Preufsen wandelt man nach langem Drängen der Industrie endlich die 10-t-Wagen in 121/2-t-Wagen um und bauet neue Wagen von 15 t. Immer langsam voran, dafs der Landsturm nachkommen kann! Als vor mehreren Jahren der selbst heute noch nicht beseitigte Wagenmangel das Verkehrs wesen in Preufsen ernstlich bedrohte, die Ueber- Schüsse der Eisenbahnen aber zu anderen staat lichen Zwecken verwendet worden waren, mufste man zu einer Anleihe seine Zuflucht nehmen, um die dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen. Die P. R. gründete dagegen vor 10 Jahren eine Rücklage — die sogenannte Gar Trusts — von 25 Millionen Dollars zur regelmäfsigen Ergänzung ihres Wagenparks. Dieselbe Gesellschaft bezeich nete die Zahl von 250 neuen Locomotiven, bei einem Bestand von 2904 Stück, als jährlich nöthig für den Dienst, was 8,6 % des Gesammt- bestandes ausmacht. Die preufsischen Staats bahnen verfügten 1889 über einen Bestand von 8797 Locomotiven. In den letzten 10 Jahren, 1880 bis 1889, wurden 2880 neue beschafft, was im Durchschnitt jährlich 288 Stück oder 3,3 % der Gesammtzahl beträgt. Ueber die geschäftliche Behandlung der Kund schaft seitens der preufsischen Staatsbahnverwal tungen verlauten stete Klagen, nicht einmal die Briefe werden frankirt. Am fühlbarsten zeigt sich die Rücksichtslosigkeit beim Verhängen der Strafwagenmiethen. Die Verwaltungen erachten es keineswegs als angebracht, die vor der be stimmten Frist abgelieferten Wagen von den ver späteten abzuziehen. Bei voller Durchführung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit müfsten die Bahnen sicherlich den Werken erheblich heraus zahlen. Die P. R. und die meisten anderen Bahnen des Ostens von Amerika gewähren volle 48 Stunden Entladefrist, das Vierfache der hier üblichen, und sind obendrein bei Erhebung von Verzugsstrafen sehr nachsichtig. Die Eisenbahnen wurden von ungeprüften, klugen Technikern und Kaufleuten ersonnen und zu ihrer gegenwärtigen Höhe ausgebildet. In Preufsen stellte man sie unter eine starre Beamten hierarchie nach dem Grundsatz: Wem Gott ein Amt verliehen, dem giebt er auch den Verstand dafür. Juristen spielen in den höheren Ver waltungskreisen die Hauptrolle. Niemand weifs eigentlich warum. Die Amerikaner verwenden bei den Eisenbahnen nach freier Auswahl die tüchtigsten technischen und kaufmännischen Kräfte, wahrscheinlich nicht zu ihrem Schaden. Hr. von Maybach bezeichnete bei den Landtagsverhandlungen über die Verstaatlichung der preufsischen Bahnen die sündhafte Vergeudung des nationalen Vermögens durch den Bau und Betrieb gleichlaufender Linien als einen Haupt grund der Regierungsvorschläge. Unter seiner Herrschaft würden wohl niemals drei fast parallele Bahnen im niederrheinisch-westfälischen Industrie gebiet entstanden sein; die Anfänge einer vierten beseitigte man bald nach der Verstaatlichung. Heute genügen schon die vorhandenen Linien nicht mehr, sie bedürfen dringend einer Ent lastung. Neue Bahnen, sofern keine strategischen Rücksichten vorliegen, werden nur selten gebaut, Goncessionsgesuche abschlägig beschieden oder die Ausführung dem Staate für künftige Zeiten vorbehalten. In Amerika haben die entgegen gesetzten Grundsätze zu einer beispiellosen Ent wicklung des Verkehrs geführt. Der Gewinn ist dabei ein ungleich gröfserer als der Verlust durch den starken Wettbewerb der Bahnen unter sich. In Amerika dient das Eisenbahnwesen seinem eigentlichen Zweck, während es bei uns zur Steuerquelle geworden ist, dieselbe Bedeutung hat wie in anderen Staaten Tabaks- und Brannt weinmonopole. Wo grelles Licht leuchtet, fehlt der Schatten selten. Die Kehrseite des amerikanischen Eisen bahnwesens besteht in der gewinnsüchtigen Aus beutung durch gewissenlose Kapitalisten, welche von namhaften Männern als Schufte und Spitz buben bezeichnet werden, die anderen Leuten das Geld aus der Tasche stehlen. Man verlangt laut nach einer strammen, vereinsstaatlichen Auf sicht des Eisenbahnwesens, hat auch damit bereits einen Anfang gemacht. Jenseit des Oceans gedeiht der Giftbaum der Börse gar üppig, bei uns umranken Bureaukratie und Fiscus das Eisen bahnwesen, dessen gesundes Wachsthum hemmend. Trotz aller Fehler der Verhältnisse drüben, fühlt sich der Fremde von einem so frischen Hauch echt technischen und kaufmännischen Geistes um weht, dafs ein Vergleich zwischen amerikanischem und deutschem Eisenbahnwesen zweifellos zu gunsten des ersteren ausfällt. Gründlichere Be handlung des Gegenstandes bleibt vorbehalten. J. Schlink.