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344 Nr. 4. STAHL UND EISEN.“’ April 1890. möchten's aber bezweifeln. Mit einigem Recht darf man behaupten, dafs Fürst Bismarck sein eigenes Werk gefährdete, denn unsere heutigen inneren Zustände sind mehr oder minder eine Folge des allgemeinen Stimmrechts. Das Ausland schaut mit unverhohlener Schaden freude auf das Anwachsen der Socialdemokraten bei uns, nennt Deutschland einen Kolofs mit thönernen Füfsen, den das bereits im Rollen be griffene Steinchen bald zerschmettern werde. Einstweilen können wir uns noch beruhigen. Solange das Heer nicht in den Wirbel hinein gezogen wird, zerschellen alle gewaltsamen Ver suche an diesem rocher de bronze. Das stehende Heer ist den Einflüssen der Socialdemokratie vorläufig noch ziemlich entrückt, aber keineswegs Reserve und Landwehr, welche erst jüngst in neue Verbände eingereiht wurden, um unseren Nachbarstaaten in Zahl der Krieger ebenbürtig zu bleiben. Aber auch der Nachwuchs kann angesteckt werden. Kaiser Wilhelm 1. hegte grofse Besorgnifs wegen Verbreitung der socia- listischen Lehren. »Damit wollen sie den Ersatz der Armee vergiften. Was soll daraus werden, wenn die jungen Leute schon solche Ansichten aus ihrem Vaterhause mitbringen ?“ bemerkte der erfahrene Herrscher zum Geheimen Hofrath L. Schneider. Die Schutzgesetze gegen die Socialisten haben ihre Wirkung verfehlt, gerade die grofsen Städte mit dem kleinen Belagerungszustand sind die besten Tummelplätze der Socialdemokratie. Bei spielsweise fielen auf ihre Gandidaten in Berlin: 1867 .... 67 Stimmen. 1871 .... 2058 1874. ... 11 279 1877 . . , . 31 522 1878 .... 56147 1884. . . . 68535 1887 .... 93335 1890 .... 127 162 Die Socialdemokratie macht gar kein Hehl daraus, dafs ihr Ziel die politische und wirth- schaftliche Enteignung des jetzigen Besitzstandes ist; ein Theil der Führer leugnet nur die Absicht, solche Wandlungen gewaltsam durchsetzen zu 1 wollen. Der Reichstags-Abgeordnete Bebel äufserte einst: „Wenn Deutschland 60 Millionen Ein wohner zählen wird, dann geht die Regierung ' infolge der einfachen Wirkung des allgemeinen Stimmrechts in die Hände der Arbeiter über.“ In allen anderen Staaten, wo beschränktes Stimm recht gilt, sehen wir deshalb die Bestrebungen der Socialisten auf Erkämpfen des allgemeinen Stimmrechts als ersten Schritt ihrer Erfolge gerichtet. Die Socialdemokratie durch halbe Zugeständnisse entwaffnen zu wollen, ist eitel Bemühen, schadet auch mehr als es nützt. Schon allein indirecte Wahlen, ohne sonstige Beschrän kung des Stimmrechts, würden einen Theil des Uebels beseitigen. Einige Jahre nach Aufrichtung des Reiches sprach Fürst Bismarck das geflügelte Wort: Das deutsche Volk sei nun in den Sattel gehoben, reiten werde es schon können. Leider sitzen wir dermalen auf einem höchst störrigen, bockigen Gaul, der seinen Beiler jeden Augenblick abzu werfen droht. Unseres Erachtens giebt es nur zwei Auswege: Entweder Beschränkung des allge meinen Stimmrechts oder Verlegen des Schwer punktes der Gesetzgebung in die Kammern der Einzelstaaten. Ein aus allgemeinen directen Wahlen hervorgegangener radicaler Reichstag ist keine unbedingte Nothwendigkeit für das geeinigte Deutschland. Alles seufzt über den Unfug und wünscht baldige Erlösung aus den Wirren. Spricht man aber von einem durchschlagenden Mittel, dann bekreuzigt sich Jedermann gegen den bösen Ver sucher. Ein uralter Wahrspruch der Heilkunde lautet: Quod medicamentum non sanat, ferrum sanat, quod ferrum non sanat, ignis sanat. In allen Fällen mufs jedoch zeitig eingegriffen werden ; hat der Krebsschaden bereits edle Theile erfafst, dann ist es zu spät. J. Schlink. Zuschriften an die Redaction. Vorschlag für den Betrieb auf dem zukünftigen Dortmund-Ems-Kanal. Geehrter Herr Redacteur! Mit Bezug auf meinen früher veröffentlichten Vorschlag* erlaube ich mir folgende Mittheilung: Zu Versuchen über die Fortbewegung von Schiffen auf Kanälen ist in dem Anschlag der Preufsischen Bauverwaltung für 1890/91 ein ein maliger Betrag von 120 000 •K eingesetzt. In den * Vergl. »Stahl und Eisen« 1888, VII 475, VIII 563, IX 608. Erläuterungen wird hierzu Folgendes bemerkt und zwar mit besonderem Hinweis auf den zukünftigen Betrieb des Dortmund-Ems-Kanals: „Es wird beabsichtigt, auf dieser Kanal strecke (Seddinsee-Fürstenwalde) Versuche nach 2 verschiedenen Richtungen anzustellen, ein mal mit einem Seil ohne Ende, welches an den Ufern des Kanals durch Maschinenkraft in Be wegung gesetzt werden und den Schiffen Ge legenheit geben soll, sich daran anzuhängen