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538 Nr. 6. „STAHL UND EISEN.“ Juni 1890. Entwurf eines Gesetzes, betr. Abänderung der Gewerbeordnung. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preufsen u. s. w. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: Artikel 1. Der Titel VII der Gewerbeordnung erhält folgende Fassung: Titel VII. Gewerbliche Arbeiter (Gesellen, Gehülfen, Lehrlinge, Be triebsbeamte, Werkmeister, Techniker, Fabrikarbeiter). I. Allgemeine Verhältnisse. § 105. Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerb lichen Arbeitern ist, vorbehaltlich der durch Reichs gesetz begründeten Beschränkungen, Gegenstand freier Uebereinkunft. § 105a. Zum Arbeiten an Sonn- und Festtagen können die Gewerbetreibenden die Arbeiter nur insoweit ver pflichten, als es sich um Arbeiten handelt, welche nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auch an Sonn- und Festtagen vorgenommen werden dürfen. Welche Tage als Festtage gelten, bestimmen unter Berücksichtigung der örtlichen und confessionellen Verhältnisse die Landesregierungen. § 105 b. Im Betriebe von Bergwerken, Salinen, Aufberei tungsanstalten, Brüchen und Gruben, von Hütten werken, Fabriken und Werkstätten, von Zimmer plätzen und anderen Bauhöfen, von Werften und Ziegeleien sowie bei Bauten aller Art dürfen Arbeiter an Sonn- und Festtagen nicht beschäftigt werden. Die den Arbeitern zu gewährende Ruhe hat für jeden Sonn- oder Festtag 24 Stunden, für das Weihnachts-, Neujahrs-, Oster- und Pfingstfest 48 Stunden, in sonstigen Fällen für zwei aufeinanderfolgende Sonn- und Festtage 36 Stunden zu dauern. Die Ruhezeit hat frühestens am vorhergehenden Werktage um 6 Uhr Abends, spätestens am Morgen des Sonn- oder Festtages um 6 Uhr zu beginnen. Im Handelsgewerbe dürfen Gehülfen, Lehrlinge und Arbeiter an Sonn- und Festtagen nicht länger als 5 Stunden beschäftigt werden. Die Stunden, während welcher die Beschäftigung stattfinden darf, werden unter Berücksichtigung der für den öffent lichen Gottesdienst bestimmten Zeit von der Polizei behörde festgestellt. Die Feststellung kann für ver schiedene Zweige der Handelsgewerbe verschieden erfolgen. Für die letzten 4 Wochen vor Weihnachten sowie für einzelne Sonn- oder Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäfts verkehr erforderlich machen, kann die Polizeibehörde eine Vermehrung der Stunden, während welcher die Beschäftigung stattfinden darf, zulassen. § 105 c. Die Bestimmungen des § 105b finden keine An wendung : 1. auf Arbeiten, welche zur Beseitigung eines Noth standes oder zur Abwendung einer Gefahr oder im öffentlichen Interesse unverzüglich vor- genommen werden müssen; 2. auf Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung, durch welche der regelmäfsige Fortgang des eigenen oder eines fremden Betriebes bedingt ist, sowie auf Arbeiten, von welchen die Wieder aufnahme des vollen werktäglichen Betriebes abhängig ist, sofern nicht diese Arbeiten an Werktagen vorgenommen werden können; 3. auf Arbeiten, welche zur Verhütung des Ver derbens von Rohstoffen oder des Mifslingens von Arbeitserzeugnissen erforderlich sind, sofern nicht diese Arbeiten an Werktagen vorgenommen werden können; 4. auf Gast- und Schankwirthschafts- sowie auf Verkehrsgewerbe. Gewerbetreibende, welche Arbeiter an Sonn- und Festtagen mit Arbeiten der unter Ziffer 1 bis 3 er wähnten Art beschäftigen, sind verpflichtet, ein Ver- zeichnifs anzulegen, in welches für jeden einzelnen Sonn- und Festtag die Zahl der beschäftigten Arbeiter, die Dauer ihrer Beschäftigung sowie die Art der vor genommenen Arbeiten einzutragen sind. Das Ver- zeichnifs ist auf Erfordern der Ortspolizeibehörde sowie dem im § 139b bezeichneten Beamten jeder zeit zur Einsicht vorzulegen. Bei den unter Ziffer 2 und 3 bezeichneten Ar beiten sind die Gewerbetreibenden verpflichtet, jeden Arbeiter entweder an jedem dritten Sonntage volle 24 Stunden, oder an jedem zweiten Sonntage min destens in der Zeit von 6 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends von der Arbeit frei zu lassen. § 105 d. Für bestimmte Gewerbe, insbesondere für Betriebe, in denen Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatten, sowie für Betriebe, welche ihrer Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt sind, oder welche in gewissen Zeiten des Jahres zu einer aufser- gewöhnlich verstärkten Thätigkeit genöthigt sind, können durch Beschlufs des Bundesraths Ausnahmen von der Bestimmung des § 105 b Absatz 1 zugelassen werden. Die Regelung der an Sonn- und Festtagen in diesen Betrieben gestatteten Arbeiten und der Be dingungen, unter welchen sie gestattet sind, erfolgt für alle Betriebe derselben Art gleichmäfsig und unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 105c Absatz 3. Die vom Bundesrath getroffenen Bestimmungen sind durch das Reichs-Gesetzblatt zu veröffentlichen. § 105 e. Für Gewerbe, deren vollständige oder theilweise Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervor tretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, sowie für Betriebe, welche ausschliefslich mit durch Wind oder unregelmäfsige Wasserkraft bewegten Trieb werken arbeiten, können durch Verfügung der höheren Verwaltungsbehörde Ausnahmen von den im § 105b getroffenen Bestimmungen zugelassen werden. Die Re gelung dieser Ausnahmen hat unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 105 c Absatz 3 zu erfolgen. § 105 f. Wenn zur Verhütung eines unverhältnifsmäfsigen Schadens ein nicht vorherzusehendes Bedürfnifs der Beschäftigung von Arbeitern an Sonn- oder Festtagen eintritt, so können durch die untere Verwaltungs behörde Ausnahmen von der Bestimmung des § 105b Absatz 1 für bestimmte Zeit zugelassen werden. Die Verfügung der unteren Verwaltungsbehörde ist schriftlich zu erlassen und mufs von dem Unter-