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Das Wahl verfahren für die Beisitzer der Gewerbegerichte.* Der dem Reichstage vorliegende Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Gewerbegerichte, schreibt bekanntlich vor, dafs die Beisitzer dieser Gerichte je zur Hälfte von den Arbeitgebern und Arbeitern des Bezirks aus ihrer Mitte zu wählen sind; er überläfst es jedoch der örtlichen Regelung, durch Communalstatut oder Anordnung der Landes centralbehörde, über die Art der Wahl und das Verfahren bei derselben Bestimmung zu treffen. (§ 12 Abs. 4 des Entw.) Obwohl diese Vorschrift bei der ersten Be- rathung des Entwurfs in der Reichstagssitzung vom 9. Mai d. J. kaum berührt worden ist, verdient dieselbe doch ihrer Wichtigkeit wegen eine eingehendere Besprechung. Zunächst erscheint die Frage berechtigt, ob denn der jedenfalls umständliche Apparat einer Wahl der Beisitzer durch ihre Berufsgenossen unentbehrlich, ob es nothwendig ist, die zahl losen im Deutschen Reiche schon stattfindenden Wahlen um eine weitere Kategorie zu vermehren. Zum Beweise, dafs eine solche Nothwendigkeit nicht vorliegt, sei es gestattet, auf das Vorgehen eines Gliedes der nordamerikanischen Union in der gleichen Frage hinzuweisen. Der industrie- reiche Staat Massachusetts besitzt, wie wir einer Mittheilung der »Times« vom 18. April d. J. entnehmen, seit 1886 ein durch Gesetz eingeführtes Einigungsamt, welches alljährlich eine gröfsere Anzahl reiner Interessenstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern schlichtet. Dasselbe besieht aus drei vom Gouverneur ernannten Mitgliedern, von denen eines einem Verbände der Arbeitgeber entnommen werden, das zweite einer Organisation der Arbeiter an gehören mufs, während das diitte Milglied auf Vorschlag der beiden anderen berufen oder, wenn eine Vereinbarung nicht zustande kommt, ohne weiteres vom Gouverneur ernannt wird. Also ein republikanisches Staatswesen trägt kein Bedenken, die Berufung der Mitglieder des Einigungsamtes der Staatsgewalt zu übertragen; es erscheint nicht minder zulässig, die gleiche Function im Deutschen Reiche z. B. der höheren Verwaltungs behörde oder doch dem von einer Behörde er nannten Vorsitzenden des Gcwerbegerichls zu übertragen. Gebt man aber davon aus, dafs die Beisitzer jedenfalls von den beiderseitigen Berufsgenossen gewählt werden sollen, so halten wir es doch nicht für gerechtfertigt, wenn der Entwurf die Art der Wahl und das Verfahren bei derselben der localen Bestimmung überlassen will. * Vgl. den Artikel »Das Einigungsamt nach dem Gesetzentwurf, betr. die Gewerbegerichte«, im Mai-Heft dieser Zeitschrift S. 386 ff. D. Red. Principiell kommt hiergegen in Betracht, dafs die Gewerbegerichte dazu berufen sind, einen Theil der staatlichen Justizhoheit auszuüben, dafs sie insofern mit den ordentlichen Gerichten auf einer und derselben Stufe stehen und kein Anlafs vorliegt, gerade bei ihnen den örtlichen Verhält nissen einen Einflufs auf die Art der Zusammen setzung des Collegiums zu verstatten. Wie man mit gutem Grunde die Bildung der ordentlichen Gerichte nach einheitlichen Principien im ganzen Deutschen Reiche geregelt hat, wie es nicht zu lässig ist, die Schöffen- und Geschwornenhöfe an verschiedenen Orten in verschiedener Weise zu bilden, so sollte auch das Wahlverfahren für die Beisitzer der Gewerbegerichte durch Reichs gesetz einheitlich normirt werden. Zur Begründung des entgegengesetzten Stand punkts machen die Motive des Entwurfs unter Anderem geltend, „die Ausschliefsung jeder auto nomen Regelung dieser Frage würde, statt die Verbreitung der Gewerbegerichte zu fördern, sich leicht als ein Hemmschuh für dieselbe erweisen können“. Aber dieses Argument verliert jede Bedeutung, wenn — wofür wir uns in erster Reihe aussprechen — die Einführung der Ge werbegerichte im ganzen Reiche obligatorisch gemacht wird, und auch bei nur facultativer Ein führung trifft dasselbe nicht zu. Im Gegentheil läfst sich annehmen, dafs die gesetzliche Fest stellung des einzuhaltenden Wahlverfahrens den Communalbehörden ihren Entschlufs, ein Ge werbegericht zu bilden, bedeutend erleichtern würde, weil sie einen gefährlichen Streitpunkt vorweg erledigt und die Abfassung des Statuts wesentlich vereinfacht. Endlich spricht für die einheitliche Gestaltung des Wahlverfahrens noch die Erwägung, dafs andernfalls für den einzelnen Gewerbegerichts- bezirk ein Element der Beunruhigung geschaffen werden könnte. Es ist zu besorgen, dafs jeder mit der Thätigkeit des Gewerbegerichts nicht einverstandene Theil — seien es die Arbeitgeber oder die Arbeiter — die Ursache ihm ungünstiger Entscheidungen in der Zusammensetzung des Gerichts suchen und alsbald die Einführung eines vermeintlich besseren, in anderen Bezirken gellen den, Wahlsystems anstreben würde. Ist dagegen die Wahl der Beisitzer überall gleichmäfsig geordnet, so liegt kein Anlafs vor, für die Gleichstellung mit anderen, angeblich besser ge stellten Bezirken zu agitiren, ein Jeder mufs sich zunächst dem geltenden Rechtszustande fügen, und ein Streit über die Güte dieses oder jenes Wahlsystems kann nur innerhalb der Factoren der Reichsgesetzgebung zum Austrag gebracht werden.