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Juni 1890. 7 STAHL UND EISEN.“ Nr. 6. 493 14. Mai 1889 in erster Lesung angenommen; der Bundesrath hat es jedoch abgelehnt, diesem An träge zu entsprechen. Dieser Beschlufs des Bundesraths ist nicht unerwartet gekommen, da ähnliche Anregungen seitens des Reichstags auch schon früher ergangen sind, ohne beim Bundesrath ein Entgegenkommen gefunden zu haben. Auch hatte bei der Be- rathung der Resolution im Reichstage der Secre- tär des Reichsschatzamtes schon auf eine frühere Aeufserung hingewiesen, wonach bei der Stellung nahme des Bundesraths zu der angeregten Frage das ausschlaggebende Moment das gewesen sei, dafs man die Vorzüge, welche die Einführung eines Reichszolltarifamtes haben könnte, nicht für so zweifellos und erheblich angesehen habe, um die Bedenken zu überwinden, die der Einrichtung eines solchen Amtes vom verfassungsrechtlichen Standpunkte aus mit Rücksicht auf die verfassungs- mäfsig gewährte Selbständigkeit der Zollverwal tungen der einzelnen Bundesstaaten entgegen ständen. Man sieht hieraus, dafs es nicht so sehr sachliche Gründe gewesen sein dürften, welche den Bundesrath auch zu seiner jüngsten Beschlufsfassung geführt haben, als die Rück sicht auf die dadurch angeblich gefährdeten Reservatrechte der einzelnen Bundesstaaten. Die Sache liegt hier also ähnlich, wie bezüglich der in jüngster Zeil vielbesprochenen Briefmarken frage, und insofern hat sie noch ein besonderes Interesse. Wie man aber hoffen darf, dafs die noch widerstrebenden Elemente, wenn auch erst in späterer Zeit, die Einsicht gewinnen werden, dafs die Einführung einer einheitlichen Briefmarke keineswegs die Umgestaltung des Staatenbundes zu einem Einheitsstaate bedeutet, so wird wohl auch die Zeit kommen, wo auch bezüglich strei tiger Zolltariffragen eine einheitliche Entscheidung durch ein dazu berufenes Reichsamt in Anspruch genommen werden kann. Dafs der Bundesrath, der selber das Waarenverzeichnifs erlassen hat, nicht die geeignete Instanz sein kann, um über Beschwerden gegen dieses Verzeichnifs zu ent scheiden, liegt doch wohl auf der Hand. Nun hat aber die selbständige Verwaltung der Justiz seitens der einzelnen Bundesstaaten nicht darunter gelitten, dafs ein einheitliches oberstes Reichs gericht geschaffen ist, und so wird auch der selbständigen Verwaltung der Zollangelegenheiten seitens der einzelnen Staaten nicht dadurch Ab bruch gethan werden, wenn ein oberstes Reichs zolltarifamt errichtet wird, welches — wie jenes auf Grund der Reichsjustizgesetze — auf Grund der Reichszollgesetze in letzter Instanz entscheidet. Möge man demselben immerhin, um seine Un abhängigkeit zu sichern, ebenso wie es hinsicht lich des Reichsgerichts geschehen ist, aufserhalb Berlins und in einem andern Bundesstaate als Preufsen, etwa in München, seinen Sitz anweisen. Dafs der Reichstag immer wieder auf seine For- VI.io derung zurückkommen wird, das hat schon der Abgeordnete Woermann in der Begründung der beantragten Resolution angekündigt. Dafür bürgt aber auch schon die sich nicht erschöpfende Zahl von Beschwerden, welche über die ver schiedenartige Behandlung von Zolltariffragen in den Bundesstaaten erhoben werden. Noch sei bemerkt, dafs in Oesterreich seit Anfang dieses Jahres in dem „Zollbeirath" eine derartige Institution ins Leben gerufen worden ist. Der im Jahre 1892 bevorstehende Ablauf einer Reihe wichtiger Handelsverträge wird die Gruppe in der nächsten Zeit eingehend beschäf tigen. Von deutschen Verträgen laufen in dem genannten Jahre ab diejenigen mit der Schweiz, mit Italien und Spanien; schon vorher endigen diejenigen mit der Türkei und Rumänien, der Vertrag mit Serbien im Jahre 1893 und derjenige mit Griechenland im Jahre 1895, während die Verträge mit Grofsbritannien, den Niederlanden, Oesterreich-Ungarn und Portugal jederzeit mit einjähriger Frist gekündigt werden können. Gegen den Erlafs eines Warrantgesetzes hat, soweit dabei die Eisen- und Stahlindustrie in Betracht kommen könnte, die Gruppe schon im Jahre 1888 ihre schwerwiegenden Bedenken geäufsert und wiederholt in der Vereinszeitschrift dargelegt, dafs die durch das Warrantsystem er leichterte Beleihung von Waaren ganz besonders bei der Roheisenerzeugung zu einer Ueberproduc- tion führen müsse, unter der die Eisen- und Stahlindustrie schwer zu leiden haben würde. Die neuesten Vorgänge auf dem englisch-schot tischen Eisenmarkte haben die Berechtigung un serer Bedenken in eclatantester Weise bestätigt. Zur Patentgesetznovelle wird die Gruppe demnächst Stellung nehmen in den Berathungen einer Commission, welche in Gemeinschaft mit dem Wirthschaftlichen Verein und dem Verein deutscher Eisenhüttenleute gebildet worden ist. Zum Entwurf eines bürgerlichen Gesetz buches haben wir uns ebenfalls in Gemeinschaft mit dem Wirthschaftlichen Verein in einem ein gehenden Gutachten geäufsert, das in der betr. Commission Hr. Justizrath Dr. Rob. Esser II. aus Köln zu erstatten die Güte hatte. Hinsichtlich der Golonialpolitik hat die Gruppe ihre Ansicht von der Nützlichkeit der selben nicht deshalb ändern können, weil von vielen Seiten die unmittelbaren Erfolge derselben vermifst werden. Es ist charakteristisch, dafs die freisinnige Richtung der Presse des deutschen Binnenlandes mit besonderer Vorliebe sich auf die Bekämpfung der Colonialpolitik wirft, während die gleiche Richtung der Presse in den deutschen Seestädten vermöge ihres gröfseren Verständ nisses für solche Fragen den Werth der Colonieen hochschätzt und demgemäfs namentlich auch für die Frage der subventionirten Dampferlinien einen weit ungetrübteren Blick sich bewahrt hat. 2