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Mai 1890. „STAHL U gewesen bei Schienen und anderm Eisenbahn- Baumaterial, bei Locomotiven, in neuester Zeit bei Eisenbahnwagen, in denen namentlich die belgische Concurrenz, welche mit den hohen Löhnen und Wohlfahrts-Auflagen der deutschen Werke nicht zu rechnen hat, für gewisse Wagen- gattungen erheblich niedrigere Preise stellte. Leider wird seitens der deutschen Behörden, welche über den Zuschlag zu entscheiden haben — sei es nun absichtlich oder aus Unkenntnifs — dem Umstande zu wenig Rechnung getragen, dafs die Eisenbahnverwaltungen in den Ländern unserer ansehnlichsten Concurrenz, in England, Belgien und Frankreich den deutschen Mitbewerb direct oder indirect geradezu ausschliefsen. Die selben Erfahrungen liegen über Submissionen in den englischen und französischen Colonieen vor. Dem Verein sind wiederholt Fälle mitgetheilt worden, in denen bei Offerten in Australien die englische Industrie in einseitigster Weise be günstigt worden ist, während die deutsche Mit bewerbung trotz angeblich öffentlicher Aus schreibung nicht einmal in den Besitz der Sub missionsbedingungen hat gelangen können. Von einer Eisenbalmverwaltung ist rund heraus er klärt worden, die Ausschreibung sei zwar eine unbeschränkte, grundsätzlich würden aber nur englische Offerten berücksichtigt. Es sind dies dieselben Erscheinungen, denen die deutsche In- dnstrie auch in den Colonieen anderer aufser- deutscher Staaten begegnet ist, deren Beseitigung indessen selbst auf diplomatischem Wege sich als sehr schwierig erwiesen hat. Im November v. J. ist vom Reichsjustizamt für die wiederum in Aussicht genommene War rantgesetzgebung eine Commission einberufen wor den, an der auf Vorschlag des Vereins Herr Dir. Thielen-Ruhrort theilgenommen hat. Ueber die Arbeiten der Commission sind Mittheilungen in die Oeffentlichkeit nicht gelangt. Trotzdem erachtete der Vorstand für angezeigt, sich in der Sitzung vom 12. December v. J. nochmals mit der Warrantgesetzgebung zu beschäftigen und zur Bekundung seiner unveränderten Stellung nahme an dem schon unter dem 22. November 1887 gefafsten Beschlusse festzuhalten, „dafs die deutsche Eisen- und Stahl-Industrie an der Emanirung eines Warrant gesetzes kein Interesse habe und eine eventuelle An wendung desselben auf ihre Erzeugnisse für schädlich halte.“ Die wilde Speculation, der seitdem, und zwar erst in den letzten Wochen, die schottischen Warrants für Roheisen unterworfen gewesen sind, haben die Richtigkeit dieses Beschlusses unwider legbar bestätigt. Infolge unsinniger Aufkäufe einiger Speculanten stiegen Glasgower Warrants, die am 1. October 1889 noch 49 sh. 10 d. standen, bis zum 7. Januar 1890 auf 65 sh. V.io D ESEN. Nr. 5. 489 6 d., gingen also innerhalb 3 Monaten um 15 sh. 8 d. herauf, während in derselben Zeit englisches Eisen gleicher Qualität direct ab Werk im Preise nur um 51/2 bis 53/4 bis 6 sh. stieg. Ander weite Engagements der Käufer und der inzwischen gestiegene Bankdiscont zwangen zu einem Ver kauf der in grofsen Posten aufgekauften War rants, der an der Börse nur unter sehr grofsen Verlusten möglich war und zur Folge hatte, dafs dieselben innerhalb 4 Wochen bis auf 51 sh., d. h. um 141/2 sh. heruntergingen. Obgleich während dieser Zeit in England der Verbrauch von Roheisen in der bisherigen Weise andauerte, die Production kaum erhöht wurde, namhafte Lagerbestände (aufser in den Warrants-Lager häusern) ebensowenig vorhanden waren, hatten die Zwangsverkäufe der Warrants doch einen Preissturz des englischen Roheisens zur Folge und betrug derselbe in dem kurzen Zeitraum von 4 Wochen beispielsweise für Goltnefs ab Werk 61/2 sh., für Eglinton Nr. I sogar 81/2 sh. Dafs bei derartigen Preisschwankungen in so kurzen Zeiträumen ein reguläres Geschäft weder für die Hochofenwerke, noch für deren Abnehmer auf den Walzwerken, in den Maschinenfabriken u. s. w., ebensowenig für den Eisenhandel möglich ist, liegt auf der Hand. Auf den deutschen Eisen markt hat dieser Warrantkrach einen weiteren Einflufs, als die Herbeiführung einer flauen Preis stimmung, nicht gehabt, da die bestehenden Con ventionen dem Hereinbrechen eines derartig wil den Geschäftsgebahrens wirksam vorbeugen — an den deutschen Effectenbörsen hält man da gegen in unbegreiflicher Weise noch immer an dem Vorurtheil fest, der Zeitwerth des schotti schen Warrant-Börsenspielpapiers sei für das Wohl oder Wehe der deutschen Eisenindustrie raafsgebend und durch den Preissturz der schot tischen Warrants wurden die bis zu 80% be tragenden Coursherabsetzungen deutscher Montan- Actien, die in der ersten Hälfte Februar grofse Verluste zur Folge gehabt haben, herbeigeführt oder wenigstens eingeleitet. Für die Einbürgerung des Warrantsystems auf deutschem Boden mögen vielleicht der Han del — sicher die Börse — sich interessiren, für die Industrie ist dasselbe mit den gröfsten Ge fahren verbunden. Gegen Verpfändung von Waaren ist es sonst creditfähigen Industriellen schon jetzt in Deutschland möglich, Kapitalien geliehen zu erhalten, sobald sich ein anderer Ausweg nicht bieten oder nicht passend erscheinen sollte. Diese Pfand- bezw. Lagerscheine jedoch gesetz lich zu mobilisiren und derart zu einem Börsen spielpapier umzuwandeln, dafs der Industrielle factisch jedes Verfügungsrecht über seine ver pfändeten Erzeugnisse verliert, liegt durchaus kein Grund vor. Solche Zeiten, in denen Roheisen und — ohne vorherige Bestellung auf Vorrath zu arbei- 8