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Mai 1890. STAHL UNI) EISEN. Nr. 5. 389 werden erst recht unüberwindlich werden, wenn die an der Bewegung betheiligte Arbeiterschaft in zwei scharf getrennte Parteien, beispielsweise in eine socialdemokratische und eine clericale, gespalten ist. Nehmen wir aber auch an, dafs es den ruhigeren Elementen gelingt, zunächst die Wahl besonnener Leute zu Vertretern vor dem Einigungsamte durchzusetzen, so ist damit noch keineswegs die Gewähr gegeben, dafs nicht eine spätere Versammlung das Mandat derselben widerruft und so das Einigungsamt, welches diese friedliebenden Vertreter als genügend legi- timirt zugelassen hat, in einer seinem Ansehen nicht förderlichen Weise blofsstelll. Nach vollzogener Constituirung des Amts ist folgendes Verfahren vorgesehen. Zunächst sind durch Vernehmung der beiderseitigen Ver treter und nöthigenfalls noch anderer Auskunfts personen die Streitpunkte und die für die Be- urtheilung derselben in Betracht kommenden Verhältnisse klarzustellen. Nach Abschlufs dieses Ermittlungsverfahrens soll sodann eine Ver handlung mit den beiderseitigen Vertretern statt- finden, in welcher , zunächst die Anerkennung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens durch die Vertreter herbeizuführen ist.“ Sehr häufig j werden sich schon hier die Ansichten unversöhnbar I gegenüberstehen, gelingt es aber — eventuell auf Grund einer Wiederaufnahme der, Ermittlungen — jene Anerkennung der thatsächlichen Ver hältnisse zu erwirken, so ist ein Einigungs versuch anzustellen. Derselbe wird in der Regel so zu denken sein, dafs das Amt den Parteien die nach seiner Ansicht billigen Ver einbarungsbedingungen unterbreitet. Kommt eine Vereinbarung zustande, so ist der Inhalt derselben durch eine von den Mitgliedern des Einigungs amts und den Vertretern beider Theile zu unter zeichnende Bekanntmachung zu veröffentlichen; im entgegengesetzten Falle hat das Einigungs amt einen Schiedsspruch über alle streitigen Fragen abzugeben, mit der Aufforderung an die Parteien, sich innerhalb bestimmter Frist über die Anerkennung des Spruchs zu erklären. Nach Ablauf der Frist ist der Schiedsspruch mit den Erklärungen beider Parteien bekannt zu machen; Nichterklärung gilt als Ablehnung des Spruchs. Eine besondere Bestimmung ist endlich für den Fall getroffen, dafs bei der Abstimmung über den Schiedsspruch die sämmtlichen Beisitzer und Vertrauensmänner des einen Theils denjenigen des andern Theils dissentirend gegenüberstehen. In diesem Falle kann der Vorsitzende sich seiner Stimme enthalten und feststellen, dafs ein Schiedsspruch nicht zustande gekommen sei, was dann ebenfalls zu veröffentlichen ist. Was die letzterwähnte Vorschrift anlangt, so erscheint uns richtiger, wenn in jedem Falle, wo sich bei der Abstimmung die beiden Klassen von Mitgliedern des Einigungsamts geschlossen gegen überstehen, der Schiedsspruch als gescheitert proclamirt werden mufs. Denn das Einigungsamt kann nicht wie ein anderes in sich homogenes Collegium behandelt werden, in welchem lediglich die Mehrzahl der Stimmen entscheidet; ein wirk licher Beschlufs des Amts liegt nicht vor, wenn die Mitglieder — erkennbar bestimmt durch ihre Zugehörigkeit zum Stande entweder der Arbeitgeber oder der Arbeiter — sich in zwei Lager spalten. Die vorgeschlagene Aenderung empfiehlt sich aber auch aus praktischen Rück sichten, weil eine Unterwerfung beider Theile unter den Schiedsspruch nicht erwartet werden kann, wenn derselbe nur durch die ausschlag gebende Stimme des Vorsitzenden zustande ge kommen ist. Damit sind wir zu der schliefslichen Frage gelangt, ob und welcher Nutzen von der gesetz lichen Einführung von Einigungsämtern zu hoffen ist. Einen Vortheil glauben wir uns davon versprechen zu dürfen, wenn künftig das Amt des „Vermittlers“ bei Ausstandsbewegungen be stimmten Behörden als ihr Recht und ihre Pflicht ein für allemal überwiesen sein wird: Es wird in Zukunft der Anreiz zur Uebernahme der Vermittlerrolle durch Unberufene geringer sein, es wird auch nicht mehr erforderlich sein, dafs sich die höchsten Beamten des Staates auf unerfreuliche und ihrer Würde nicht ent sprechende Vermittlungsverhandlungen mit social demokratischen Streikführern einlassen. Der hierin liegende Gewinn ist sicherlich nicht zu unterschätzen, im übrigen werden aber auch die jenigen, welche nicht principielle Gegner jeder einigungsamtlichen Einrichtung sind, von der gesetzlichen Einführung des vorliegenden Entwurfs wenigstens für die nächste Zeit keine erheblichen Erfolge erwarten dürfen. Die Verhandlungen vor dem Einigungsamt können nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Vertreter und Ver trauensmänner beider Theile von dem ehrlichen Wunsche nach einer Verständigung beseelt sind. Nur zu oft aber wird sich zeigen, dafs die Ar beiter-Vertreter die Verhandlungen nur benutzen, um ihre Hetzreden von einer höheren Warte aus zu halten und das Verhältnifs zu den Arbeit gebern möglichst gründlich zu vergiften. Und ist — wenn man von den Schiedssprüchen des Einigungsamts absieht — selbst durch eine vor demselben geschlossene Vereinbarung die Wieder herstellung des Friedens gesichert? Diese Ver einbarungen sind in keiner Weise erzwingbar, nur von ihrem moralischen Eindruck wird eine günstige Wirkung auf die Entschliefsungen beider Theile erwartet. Wenn nun auch die Arbeit geber jede nicht auf flagranter Mandatsüber schreitung der Vertreter beruhende Vereinbarung unbedingt anerkennen würden, so ist doch für die Arbeiter bei den heutzutage unter ihnen herrschenden Strömungen das Gleiche leider