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15. September 1895. InraUditäts- und Altersversicherung. Stahl und Eisen. 875 nämlich derjenige der Leistung und Gegenleistung, nicht in demselben Mafse wie jetzt haben berück sichtigt werden können. Gegenwärtig liegt der Beitragsberechnung die Lohnsumme zu Grunde, welche der einzelne Versicherte im Jahre ver dient, oder vielmehr nicht der Einzellohn, sondern vier Klassen dieser Löhne. Die Arbeitgeber tragen die Verantwortung dafür, dafs die Marken in der richtigen Höhe und in der richtigen Menge abgeliefert werden. Vielfach geschieht dies jetzt schon nicht, denn es wird von manchen Ver sicherungsanstalten über Defraude auf diesem Gebiete geklagt. Jedoch schwerlich hätte sich ermöglichen lassen, in derselben Weise vorzu gehen, wenn man die Beiträge durch Steuern hätte aufbringen lassen wollen. Jetzt ist wenigstens eine Controle durch die wöchentliche Einklebung möglich. Der Arbeitgeber weifs, falls er nicht absichtlich täuschen will, genau, welchen Betrag er wöchentlich für die Invaliditäts- und Alters- I Versicherung abliefern mufs. Würde aber eine Steuer eingezogen werden, so würde sie unmög lich wöchentlich abgeführt werden können, und der Arbeitgeber würde unter Umständen selbst nicht einmal mehr wissen können, welche Beitragslast ihm thatsächlich zukäme. Ob der Grundsatz von Leistung und Gegenleistung, auf dem das gegenwärtige Gesetz aufgebaut ist, in der Form, wie er jetzt besteht, berechtigt ist oder nicht, wollen wir hier nicht entscheiden. Jedenfalls hätten sich, wenn er nicht in dieser prägnanten Weise ausgebildet worden wäre, sehr viele Mifs- stände in der Invaliditäts- und Altersversicherung vermeiden lassen, über welche jetzt geklagt wird. Also nur unter der Bedingung, dafs die Grund lage des Gesetzes geändert würde, wäre es mög lich, das Markeneinkleben in der Zukunft ab zuschaffen. Jedoch wir glauben kaum, dafs diese Grundlage des Gesetzes zu beseitigen sein wird. Dazu ist der Zug der Zeit nicht angethan. Die Kleinlichkeit hat namentlich in unserem Gesetz gebungsleben ein zu grofses Gewicht, als dafs man eine berechtigte Hoffnung in dieser Hinsicht hegen könnte. Aber etwas würde sich doch er möglichen lassen, um wenigstens die Scherereien, welche für die Arbeitgeber mit dem Marken einkleben verbunden sind, auf ein geringes Mafs herabzusetzen. Es ist durchaus nicht nothwendig, dafs die Arbeitgeber die Marken einkleben. Im §112 des Gesetzes ist nämlich auch angeordnet, dafs, abweichend von der allgemeinen Vorschrift, die Beiträge für die zu Krankenkassen gehörigen Versicherten durch deren Organe für Rechnung der Versicherungsanstalt von den Arbeitgebern, und dafs die Beiträge für diejenigen Personen, welche keiner Krankenkasse angehören, in der gleichen Weise durch die Gemeindebehörden oder durch besondere örtliche Hebestellen von der Versicherungsanstalt eingezogen werden können. Von dieser Ermächtigung des § 112 haben'ver- I | schiedene Versicherungsanstalten Gebrauch ge macht. Die Anstalten für das Königreich Sachsen, für Württemberg, Thüringen, für die Hansestädte u. a. haben die in ihrem Bezirk wohnenden Arbeit geber von der Last der Beitragsentrichtung durch Marken befreit, theils dadurch, dafs Krankenkassen, theils dadurch, dafs Gemeindebehörden mit der Arbeit betraut sind. Es ist selbstverständlich, dafs, wenn eine Versicherungsanstalt in dieser Weise vorgeht, damit Kosten verbunden sind, die, da das Ende die Last trägt, schliefslich auf die Schultern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern fallen. Jedoch wenn man bedenkt, dafs durch diese Art der Beitragseinziehung namentlich die Hinterziehung von Beiträgen auf ein Minimum herabgedrückt wird, so wird man verstehen, wenn in den Bezirken anderer Versicherungsanstalten, die von dem § 112 bisher keinen Gebrauch gemacht haben, der Wunsch laut wird, es möchten ihre Versicherungsanstalten in derselben Weise wie die sächsische, württembergische u. s. w. vor gehen. Die Vertreter der verbündeten Regierungen haben im Reichstage auch offen erklärt, dafs ihnen selbst ein solches Vorgehen der Ver sicherungsanstalten nur angenehm sein würde. Man stellt in den östlichen preufsischen Provinzen gegenwärtig auch Versuche auf diesem Gebiete an, und es ist nur zu wünschen, dafs dieselben einen günstigen Verlauf nehmen, denn für die ihren wirklichen Beitrag zahlenden Arbeitgeber würde sie keine gröfsere materielle Belastung, dagegen eine Befreiung von manchen Scherereien bringen. Es würde nun zu erwägen sein, ob bei einer Revision des Invaliditäts- und Alters versicherungsgesetzes nicht auch gesetzlich eine Bestimmung getroffen werden könnte, welche dieser Art der Einziehung der Beiträge einen Vorzug vor der andern gewährte. Wir denken daran, dafs den Versicherungsanstalten nahe ge legt würde, die Beiträge anders einziehen zu lassen. Die Formulirung eines solchen Gedankens würde durchaus nicht schwer sein. Es käme nur dar auf an, dafs man nach dieser Richtung einen Willen zeigt. Der Weg ist dann schon da. Auch durch die Einrichtung der Quittungs karten selbst sind manche Unannehmlichkeiten entstanden. Namentlich erfordert die Aufbe wahrung der jährlichen ortspolizeilichen Nach weise seitens der Arbeitnehmer eine grofse Sorg falt, die von diesen Personen kaum verlangt werden kann. Die Quittungskarte befand sich in dem Entwürfe, den die verbündeten Regierungen dem Reichstage unterbreiteten, nicht, darin war nur von einem Quittungsbuche die Rede. Das Quittungsbuch hätte dieselben Unannehmlichkeiten wie die Quittungskarten nicht gebracht; denn der betreffende Arbeitnehmer hätte stets die Be weise dafür, wieviel Beiträge für ihn entrichtet sind, bei sich gehabt. Es hätte ortspolizeilicher Bescheinigungen in diesem Falle gar nicht be-