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1. September 1895. Invaliditüts- und Altersversicherung. Stahl und Eisen. 823 können. Darauf kann sich natürlich die Staats leitung nicht einlassen, und wir verstehen es, wenn die Behörden sich dem Plane einer ein heitlichen Organisation widersetzt haben. Viel also läfst sich bei der Vereinfachung der Ver waltung nicht herausschlagen, namentlich auch deshalb nicht, weil man unmöglich mehr Ehren ämter schaffen kann. Auch diese Einrichtung der Ehrenämter in der Arbeiterversicherung bildet ein Moment, das, wenn auch nur mittelbar, zu den Klagen über socialpolitische Einrichtungen j Anlafs gegeben hat. In verschiedenen Gewerbs zweigen wird es schon schwer, für alle die Ehren ämter, welche die Arbeiterversicherung geschaffen hat, geeignete oder geneigte Persönlichkeiten zu finden. Diejenigen, welche sich die Last eines solchen Ehrenamtes aufbürden, haben eine reich liche Arbeit zu bewältigen. Immerhin wird man bei der Verwaltung sparen müssen, wo man kann. Doch dieser Weg bietet wenig Aussicht auf Erfolg. Man mufs direct auf die Verminderung der Beiträge lossteuern, wenn man in dieser Be ziehung etwas erreichen will. Man könnte daran denken, die Renten herabzusetzen, jedoch damit läfst sich nicht viel anfangen. Einmal sind die Renten nicht sehr hoch, und sodann dürfte die Unzufriedenheit grofs werden, wenn man von den einmal bewilligten Renten etwas abstriche. Diesen Plan dürfte man unter keinen Umständen weiter verfolgen. Etwas anders steht es schon mit der Idee, ob man nicht den Reichszuschufs etwas erhöhen könnte. Die Deckung der durch die Invaliditäts- und Altersversicherung entstandenen Kosten wird gegenwärtig so erledigt, dafs das Reich zu jeder Rente 5046 zusteuert und dafs den Rest Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Hälfte theilen. Auf dieser Grundlage basirt wenigstens die Berechnung der Beiträge, welche für die ersten 10 Jahre im Gesetz vorgeschrieben sind. Würde man nun den Reichszuschufs auf das Anderthalbfache hinaufschrauben, so würde ja sicherlich eine gewisse Entlastung von Arbeit gebern und Arbeitnehmern entstehen. Indessen zum allergrößten Theile würden doch von den selben Elementen die neuen Steuern, die dadurch nöthig würden, aufgebracht werden müssen. Die Erleichterung wäre also eine ziemlich illusorische. Man würde das, was man von der einen Schulter herunternimmt, auf die andere desselben Körpers packen, und deshalb läfst sich mit dieser Idee nicht viel anfangen, um so weniger, als gegen die Ausschreibung von neuen Steuern im Reiche in den letzten Jahren eine grofse Animosität herrscht. Man weifs ja, dafs trotz der gröfsten Mühe, welche sich die Regierungskreise gegeben haben, abgesehen von der Erhöhung der Reichs stempelabgaben, keine einzige vorgeschlagene Steuer durchgesetzt werden konnte. Man mufs sich also nach einem andern Hülfsmittel umsehen. Wenn man die Beitrags ¬ aufbringung bei der Unfallversicherung mit der jenigen bei der Invaliditäts- und Altersversicherung vergleicht, so fällt der Unterschied zwischen beiden sofort in die Augen. Bei der Unfall versicherung herrscht das Umlage- und bei der Invaliditäts- und Altersversicherung das abge milderte Kapitaldeckungsverfahren. Bei der Unfall versicherung wird durch jährliche Beiträge auf gebracht, was in einem Jahre an Kosten ent steht, bei der Invaliditäts- und Altersversicherung [ wird nicht blofs das, was für das eine Jahr nothwendig ist, aufgebracht, sondern aufser den Verwaltungskosten auch der Kapitalwerth der Renten in der ersten Beitragsperiode, also in den ersten 10 Jahren. Als die Invaliditäts- und Altersversicherung berathen wurde, hat man sich über die Frage des Deckungssystems der Kosten sehr viel gestritten. Man ist aber zu der Ueberzeugung gekommen, dafs es bei dieser Versicherungsart unmöglich wäre, das reine Umlagesystem zu acceptiren, und man wählte deshalb das abgemilderte Kapitaldeckungsverfahren. Nun wollen wir durchaus nicht dafür plaidiren, dafs für die Invaliditäts- und Altersversicherung das Umlagesystem eingeführt werde. Jedoch wäre es wohl möglich und zweckmäfsig, das Kapitaldeckungsverfahren noch weiter abzumildern, als dies bisher geschehen ist. Es brauchte der Zeit raum, für den der Kapitalwerth berechnet wird, nichtso weit gegriffen zu werden, man könnte ihn auf die Hälfte ermäfsigen. Dadurch würde natürlich die Zukunft zu Gunsten der Gegenwart belastet werden. Immerhin liefse sich für eine beträchtliche Zeit die Beitragslast wenigstens für die Invaliditäts- und Altersversicherung dadurch erleichtern. Es em- ! pfiehlt sich eine Erleichterung auf diesem Wege auch deshalb, weil die Vermögen, welche von den Versicherungsanstalten angesammelt werden, gegenwärtig schon eine Höhe erreicht haben, die recht bedenklich ist. Von volkswirthschaftlichen । Theoretikern wird bereits der Gedanke erwogen, ob nicht die Herausziehung eines so grofsen Kapitals aus der Volkswirthschaft zu der wirth- schaftlichen Depression, die gegenwärtig herrscht, beigetragen hat. Die Vermögen, welche die Ver sicherungsanstalten ansammeln, würden bei weiterer ' Abmilderung des Kapitaldeckungsverfahrens nicht i so grofs werden, jedenfalls würde sich ihre Er höhung auf einen längeren Zeitraum vertheilen. | Auch in dieser Beziehung würde volkswirthschaft- licher Nutzen gestiftet werden. Man könnte allerdings auch auf den Gedanken kommen, dafs es gegenwärtig schon in der Hand einzelner Versicherungsanstalten liegt, die Beiträge zu ermäfsigen. Aus den Ergebnissen der Ver sicherungsanstalten, welche vom Reichsversiche- I rungsamt jährlich veröffentlicht werden, ergiebt i sich nämlich, dafs auch mit dem jetzt schon im Gesetz vorgeschriebenen wöchentlichen Beitrage einzelne Versicherungsanstalten Summen erzielen,