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Kriege von dem Panzer verlangt wird, und wählt deshalb zur Beschiefsung ein Geschütz, dessen Kaliber ungefähr gleich der Dicke der zu be- schiefsenden Platte ist; in England ist dagegen der Geschofsdurchmesser in der Regel erheblich , kleiner als die Plattendicke; für 267 mm dicke Platten dient die 15,2-cm - Kanone. „La Revue technique“ vom 10. Juli 1894 und besonders „Le Gönie Givil“ vom 11. August 1894 bringen Be richte über eine Reihe von Schiefsversuchen gegen Panzerplatten aus verschiedenen Fabriken und von verschiedener Fertigung, an deren Verhalten in teressante Betrachtungen geknüpft sind. Man sagt, dafs die kleinen Geschosse zu Staub zer brechen, ohne die Platte zu beschädigen, wäh rend grofse Geschosse sich den Durchgang er zwingen, indem sie entweder die Platte durch schlagen, oder sie zerbrechen. Dafs auch Harvey- platten durchschlagen werden können, hat ein Schiefsversuch im April 1893 bei Gävres be wiesen, bei welchem das Stahlgeschofs durch die Harveyplatte hindurchging, ohne zu zerbrechen. Wir haben bei früheren Gelegenheiten* unsere Ansicht dahin ausgesprochen, dafs die Beschiefsung der 267 mm dicken Platten aus der 15,2-cm- Kanone oder mit Geschossen von ungenügender Festigkeit keine hinreichende Erprobung der Widerstandsfähigkeit dieser Platten sei. Nachdem man in Nordamerika mit geraden, wenn auch schwachen, Harveyplatten so über raschend günstige Erfolge erzielt hatte, fragte es sich, ob die Vorzüge des Harveyschen Kohlungs- und Härtungsverfahrens sich auch auf Platten von ungleichmäfsiger Form und Dicke übertragen lassen würden, so wie sie zur Bekleidung ge krümmter Schiffsflächen und im unteren Platten gange des Panzergürtels gefordert werden. Man durfte Zweifel hegen, ob die Platten beim Härten ihre dem Schiffstheile angepafste Form behalten und ob sie auch überall den gleichen Härtegrad annehmen würden. Als eine solche 30 cm dicke Platte, die sich auf 15 cm verjüngte, mit bestem Erfolg aus der Beschiefsung im December 1893 hervorging, wurde der Vorzug der Oberflächen härtung nach dem Harveyschen Verfahren vor Platten anderer Fertigungsart als erwiesen betrachtet und die Anwendung desselben bei Herstellung aller Panzerplatten für Schiffe der amerikanischen Ma rine angeordnet. Die Bestürzung ist daher wohl begreiflich, die der Mifserfolg der Beschiefsung einer in den Bethlehemwerken gefertigten Harvey platte vom 19. Mai 1894 hervorrief. Wir haben darüber in dieser Zeitschrift Jahrg. 1894, S. 693 berichtet. Die Ansicht der Bethlehemwerke, dafs nicht ihnen, sondern dem Harveyschen Verfahren der Mifserfolg zur Last zu legen sei, scheint durch den gleichen Mifserfolg einer am 12. Juli 1894 statt gehabten Beschiefsung einer von der Carnegie * „Stahl und Eisen“ 1892, S. 455 u. a. 0. . Steel Company gelieferten gleich dicken (457mm) Harveyplatte bestätigt zu werden. Die Unter suchung der am 19. Mai beschossenen Platte hat auch gezeigt, dafs die Kohlung und Härtung (Cementirung) im dicksten Theil der Platte nur bis zu unbedeutender Tiefe eingedrungen war, während sie im dünneren Theil auf mehrere Centimeter, also erheblich tiefer, vorgeschritten war. Es scheint demnach in der That, dafs der vortheilhaften Anwendbarkeit der Harveyschen Härtung in der Dicke der Platte eine Grenze gesteckt ist. Capitain Jaques, der Begründer und langjährige Chefingenieur der Bethlehem Iron Company in Pennsylvanien, hat sich dahin aus- . gesprochen: „Ich glaube, dafs man nur bis zu einer gewissen Grenze Platten harveysiren kann. Wo diese Grenze liegt, darüber fehlt bis jetzt die nöthige Erfahrung. Die beste 30,5-cm-Platte, die je harveysirt wurde, bekam starke Risse durch Beschiefsen mit einem 25,4 - cm - Geschofs bei einer Auftreffkraft von 4200 mt. Es steht nicht allein bei solchen Platten die Dicke der gehärteten Oberfläche in keinem Verhältnifs zu der Dicke der ganzen Platte, sondern es entstehen während des Harveyprocesses, sowie auch beim Tempern der grofsen Stahlmasse leicht Risse, oder es werden solche, die schon im Blocke vorhanden waren und an und für sich keinen Eirflufs auf den Widerstand der Platte hatten, erweitert und somit verhängnifsvoll für die Platte. Wir kommen also wieder auf die alte Frage zurück: „Welches ist das kleinere Uebel, bedeutendere Eindringungs tiefe oder Risse?“* Für die Widerstandsleistung der Platte scheint eine gewisse Tiefe des Kohlungs- und Härtungseinflusses bestimmend zu sein, denn aus dem Verhalten der Platten hat man die Ansicht ge wonnen, dafs die Härteschicht nicht Zähigkeit genug behält, um vor dem Zerbrechen durch das auf treffende Geschofs bewahrt zu bleiben; ist sie durch brochen, so ist dem Geschofs der Weg in den darunterliegenden weniger widerstandsfähigen Theil der Platte geöffnet, der dann leichter zerbrochen oder durchschlagen wird. In Frankreich ist man von diesen Mifserfolgen keineswegs überrascht gewesen, denn man hatte dort schon früher ähnliche Erfahrungen gemacht, aber ihre Ursachen erkannt und sie deshalb durch geeignete Legirungen zu beseitigen gesucht, auf die wir noch näher zurückkommen werden. Uebrigens hat man auch schon im vorigen Jahre in England, nachdem die Firma Vickers, Yons & Cie. in Sheffield auf Anregung der Ad miralität 1892 das Recht der Verwerthung des Harveyschen Patentes für England erwarb, gleich falls ähnliche Erfahrungen gemacht. Man soll es aber vermieden haben, die mifslichen Versuchs ergebnisse in die Oeffentlichkeit gelangen zu lassen, so dafs ihrer Besprechung in den Fach- * Mittheilungen aus dem Gebiete des Seewesens, 1894, S. 777.