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gleitende Lohnscala, bei welcher der Lohn ent sprechend den Verkaufspreisen der Kohlen steigt oder fällt. Ich mufs gestehen, dafs ich mir früher, bevor ich in England war, kein rechtes Bild machen konnte von der praktischen Durchführung einer solchen Lohnscala für eine ganze Grube, geschweige denn für ein ganzes Kohlenrevier. Seitdem ich jedoch die überaus gleichmäfsigen und stetig günstigen Lagerungs verhältnisse gesehen habe, verstehe ich wohl, dafs selbst für einen gröfseren Grubencomplex die Selbstkosten überall annähernd dieselben sein werden. Auf unseren deutschen Kohlengruben wäre eine solche Lohnscala kaum durchführbar. Bekannt ist die Thatsache, dafs in England jede Familie möglichst allein ihr eigenes oder gemiethetes Haus bewohnt. Die Vorzüge dieses Systems sind so allgemein anerkannt, dafs sie hier nicht besonders betont zu werden brauchen. Ob aber diese Vorzüge so grofse sind, dafs das englische System auch in unserm Kohlenrevier eingeführt werden sollte, ist mir doch recht frag lich. Eine englische Arbeitercolonie hat natur- gemäfs eine so enorme Flächenausdehnung, dafs die Adoptirung des englischen Systems mit einer Verwüstung unserer Kohlenfelder gleichbedeutend wäre. Auch steht fest, dafs gewisse Wohlfahrts einrichtungen, wie Wasserleitung, Gasleitung, Wasch-, Back- und Badeeinrichtungen, viel eher und billiger bei zusammengedrängten Massen- Wohnungen herzurichten sind. Schliefslich ist nicht zu verkennen, dafs besonders für unsere oberschlesischen Arbeiter das gesellige Zusammen wohnen gewisse Reize hat. — Viel gerühmt ist auch die gröfsere politische Reife des englischen Arbeiters und meines Er achtens nicht mit Unrecht. Am Tage der Parla mentswahl war ich in diesem Jahre gerade in Cardiff und hatte dabei Gelegenheit zu beobachten, wie die Arbeiter je nach Neigung entweder blaue, oder rothe Abzeichen trugen, je nachdem sie Unionisten oder Liberale waren. Eine starke radicale Arbeiterpartei im Sinne unserer Social demokratie ist dort noch unbekannt und wird es wohl auch bleiben. Der englische Arbeiter ver ficht in seinen starken Arbeiterverbänden mit grofsem Geschick und Erfolge viel praktischere Ziele, als unsere socialdemokratische Arbeiterpartei. Diese gröfsere politische Reife hat allerdings Aus schreitungen der englischen Arbeiter schlimmster Art nicht gehindert. Bekannt sind die Excesse der streikenden Arbeiter in Durham und Yorkshire, welche tagelang, mangels energischer militärischer Hülfe, die Gegend terrorisirten. Aber auch zu Zeiten des socialen Friedens sind Beispiele des schlimmsten Terrorismus der englischen Arbeiter verbände zu verzeichnen, wie solche bei uns, Gott sei Dank, noch nicht an der Tagesordnung sind. So lernte ich in diesem Sommer in der Nähe der Stadt W eine neuere Kohlengrube kennen, welche bei ziemlich günstigen Verhältnissen doch auffallend geringe Förderung hatte. Auf Befragen erklärte mir der Betriebsführer, dafs die Belegschaft beschlossen habe, nicht über eine gewisse Zahl zu fördern, um angeblich die Kohlen preise nicht zu werfen, und seit zwei Jahren werde in dieser Hinsicht ein zäher Kampf zwischen Grubengesellschaft und Arbeitern geführt. Gewifs eine überaus schlimme Lage für jeden Bergwerks betreiber, welcher Kapitalien investirt hat und an der Verzinsung künstlich durch seine Arbeiter gehindert wird. — Kurz möchte ich nun das Kapitel der staat lichen Aufsicht berühren. Die Beaufsichtigung der Gruben erfolgt durch staatliche Inspectoren, deren Thätigkeit, allerdings auf einem gröfseren Bezirke, derjenigen unserer Revierbeamten ent spricht. Oberbergämter giebt es nicht, und wohl deshalb ist die Zahl der Polizeiverordnungen in England erheblich geringer, wie denn die Beauf sichtigung, wahrscheinlich nicht zum Aerger der englischen Grubenbesitzer, erheblich weniger ein gehend ist, als hei uns. Besondere Aengstlichkeit besitzen die englischen Inspectoren auch nicht; wenigstens wird vielfach der Abbau der Flötze ohne Versatz unter der See oder dem Ocean zu gelassen, während bei uns jede Annäherung der unterirdischen Strecken an einen kleinen Teich der fürsorglichen Prüfung des Revierbeamten unterliegt. Die Unglücksfälle sind deshalb meines Wissens auf den englischen Kohlengruben nicht gröfser, als beim deutschen Kohlenbergbau. Lassen Sie mich nun zum Schlufs kurz die Förderungs- und Absatzverhältnisse be rühren. — Die Förderung Englands an Kohlen betrug in dem letzten Jahre rund 188 Millionen Tonnen, gegen 128 Millionen Tonnen Nordamerikas und rund 75 Millionen Tonnen Deutschlands. Die weitere Zunahmefähigkeit Englands ist, wie nicht zu verkennen, aus mehrfachen Gründen gering. Dagegen wird zweifellos Nordamerika, woselbst in den westlichen Staaten immer noch neue werth- volle Kohlenfelder entdeckt und erschlossen werden, bald die Führung in der Production übernehmen. Deutschland nimmt eine mittlere Stellung ein, und ist es nicht ausgeschlossen, dafs wir etwa in der Mitte des nächsten Jahrhunderts England über holt haben. Von den wichtigsten Kohlenrevieren Englands nenne ich in der Reihenfolge ihrer Production: Mill. Tonnen 1. Wales mit rund 31 2. Schottland . , 27 3. Northumberland und Durham , „24 4. Yorkshire , „ 23 5. Lancashire „ 22 6. Staffordshire „ „ 15 7. Derbyshire . , 11 8. Nottinghamshire „ „ 7 Wenn auch keines dieser Reviere ganz die Förderung Westfalens erreicht mit rund 371/2 Mil-