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der Erde zu heben. Von nicht minder grofser Bedeutung für den Kohlenbergbau wurde die englische Erfindung der eisernen Schiene. Bei Verwendung des alten Hundes und der Spurlatte konnten die Entfernungen der Gewinnungspunkte vom Schacht oder Stollen nur gering sein; erst mit Hülfe der eisernen Schiene ist es möglich geworden, auch räumlich dem Bergbau gewaltige Ausdehnungen zu geben. Bis zu welchen enormen Längen die Schienenbahnen moderner Gruben angewachsen sind, dürfte Laien wenig bekannt sein. Eine mittlere oberschlesische Kohlengrube hat z. B. deren etwa 30 bis 50 km im Gebrauch, und die seitlichen Entfernungen der unterirdischen Baue vom Schacht sind vielfach bis zu 4 und 5 km und darüber angewachsen. Zu welcher Vollkommenheit die unterirdischen Transporte auf Schienenbahnen gediehen sind, mögen Sie daraus entnehmen, dafs auf modernen Gruben mit guten maschinellen Fördereinrichtungen der Tonnen kilometer billiger gefahren wird, als der Tarifsatz unserer Staatsbahn beträgt. Es führt diese That- sache dazu, dafs neuerdings Neuanlagen mit neuen Eisenbahnanschlüssen möglichst vermieden werden und dafür die Lösung auch entfernterer Kohlen felder von alten Anlagen aus, selbst mit längeren Querschlägen, bewirkt wird. Es darf nicht wundernehmen, wenn der englische Kohlenbergmann bei so vielen wichtigen Erfindungen der Lehrmeister wurde bei den anderen bergbautreibenden Nationen und speciell auch in unserem Vaterlande. Eine Reihe von westfälischen Kohlengruben aus der ersten Hälfte dieses Jahr hunderts ist von englischen Ingenieuren einge richtet und geleitet worden. Englische Wasser- haltungs- und Fördermaschinen wurden fast aus- schliefslich verwendet und noch heutigen Tages begegnet man denselben hin und wieder auf alten Gruben. Auf dem Gebiete des Eisenhüttenwesens haben Sie eine ganz ähnliche Entwicklung durchgemacht. Es erinnern noch heute in Oberschlesien Namen wie Baildon und Talbot an den englischen Ursprung der Hochofen- und Walzwerksindustrie hierselbst, und selbst Nachkommen derjenigen eng lischen Hüttenleute, welche unsere Arbeiter das Puddeln und Walzen gelehrt haben, sind, wie z. B. in Lau r ahü 11 e, noch vereinzelt anzutreffen. Aus jenen Tagen schreibt sich die in Eng land noch vielfach unzutreffende, jeden Nicht- Engländer so unangenehm berührende Ueberhebung und wenig berechtigte Unterschätzung, um nicht zu sagen, Mifsachtung der fremden Industrie. Diese Ueberhebung ist wohl auch die Ursache, dafs nur sehr vereinzelt ein englischer Bergmann unsere deutschen Gruben aufsucht, trotzdem Manches bei uns zu lernen wäre, während um gekehrt und mit Recht noch jetzt eine grofse Zahl deutscher Bergleute die englischen Kohlen reviere zu Studienzwecken bereist. Unsere Kohlenindustrie ist zum guten Theil unter englischer Führung überraschend schnell selbständig geworden. Englische Ingenieure leiten seit einigen Decennien nicht mehr unsere Gruben, und englische Maschinen werden nicht mehr be- nöthigt. Im Gegentheil bereiten wir mit dem Ueberschufs unserer gut geschulten Bergtechniker den Engländern im eigenen Lande, besonders aber in Amerika und Afrika, empfindliche Con- currenz, und das ominöse „made in Germany“ findet man bei aufmerksamer Beobachtung auch schon auf englischen Kohlengruben an allerhand Apparaten und Specialmaschinen. Bezüglich der theoretischen Ausbildung der Bergbeamten dürften die Verhältnisse bei uns weit günstiger liegen, als in England. Es liegt dies zum Theil daran, dafs bei uns die zahlreichen fiscalischen Bergwerke die Heran bildung höherer Staatsbergbeamten nothwendig macht, zum Theil aber auch an unserer deutschen Eigenart, recht gründlich überall den Schulmeister walten zu lassen. Ich hatte bei meinen Besuchen englischer Gruben vielfach den Eindruck ge wonnen, dafs neben einer geringen Zahl geistig recht hervorragender Personen, welche in den Zeitschriften den Ton angeben, die Mehrzahl der Betriebsleiter (managers und selbst head managers), ihrer allgemeinen Bildung nach, Manches zu wünschen übrig läfst. Gegen ihre praktische Be fähigung dürften dagegen kaum Einwendungen zu erheben sein. Um die Eigenart des englischen Kohlenbergbaues zu verstehen, ist es nothwendig, die rechtlichen Grundlagen desselben kennen zu lernen. Während bei uns bekanntlich Bergbaufreiheit herrscht und die Kohle demjenigen gehört, der sie zuerst gefunden und dem sie ordnungsmäfsig beheben ist, gehört in England die Kohle dem Grundeigenthümer. Es ist früher viel darüber gestritten worden, welches System das bessere sei; jetzt ist man darüber, mit Ausnahme Eng lands, wohl einig, dafs unser System für den Bergbau das vortheilhaftere ist. Die Engländer mit ihren stark entwickelten Eigenthumsbegriffen vermögen dies freilich nicht anzuerkennen. Ich besinne mich in dieser Beziehung mit Interesse eines Gesprächs mit einem englischen Rechts anwalt in Cumberland, der mir erklärte, er würde Jeden todtschiefsen, der versuchen würde, gegen seinen Willen auf seinem Grund und Boden zu schürfen. Die Folgen des englischen Systems sind naturgemäfs: Entweder kann auf einem kleinen Oberflächenbesitz nur ein bescheidener Bergbau sich entwickeln, der hohe Generalkosten hat, oder bei den vorherrschenden Latifundien suchen die englischen Lords ihren Besitz so vor- theilhaft als möglich zu verwerthen, indem sie zur Erreichung eines recht hohen Förderzinses gleichzeitig an recht viel Bergbau-Gesellschaften ihr Land verpachten. So kommt es, dafs auf einem Kohlenbecken von der Gröfse des ober-