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Englischer und deutscher Schiffbau. 716 Stahl und Eisen. 1. September 1897. Englischer und deutscher Schiffbau. Von Professor Oswald Flamm ■ Charlottenburg. Am 6. Juli d. J. begannen, wie bekannt, in London unter dem Vorsitze des Prinzen von Wales die Verhandlungen des diesjährigen internationalen Congresses der „Institution of Naval Architects and Marine Engineers“. Es haben diese Zusammen künfte, deren vorletzte in Deutschland, Hamburg- Berlin-Stettin, die vorvorletzte in Paris stattfand, wohl weniger den Zweck, grofse bedeutende Neue rungen vorzuführen und bekannt zu geben, wenn ja auch stets eine ganze Reihe technischer, auf den Schiffbau oder Schiffsmaschinenbau bezüglicher Vorträge gehalten werden, als vielmehr den Zweck, durch ein längere Zeit hindurch dauerndes, engeres Beisammensein der Schiffbauer der verschiedenen Länder eine gegenseitige Bekanntschaft und An näherung, sowie, wenn möglich, auch einen mehr oder weniger eingehenden Austausch der persön lichen Anschauungen und Erfahrungen auf neu tralem Gebiet herbeizuführen. Wenn sich dann an die geselligen Zusammenkünfte noch eine Reihe von Besichtigungen hervorragender Firmen an- schliefsen, — und hierbei hat, wie auch in jeder anderen Beziehung, England sich in diesem Jahre äufserst entgegenkommend gezeigt —, so wird dadurch der Ideenaustausch fraglos gefördert und wohl auch ein, wenn auch nur sehr flüchtiger, so doch immerhin angenehmer Ueberblick er möglicht. Während der beiden ersten Tage wurden zahlreiche Vorträge, zum Theil mit hübschen Demonstrationen verbunden, in dem Imperial Institute in London verlesen und besprochen. Emile Bertin, Directeur des Gonstructions Navales, Paris, gab einen Theil seiner Erfahrungen und gesammelten Daten über gehärtete Panzer platten und zerbrochene Projectile; G. Ellis sprach über unverbrennbares Holz, wohl hauptsächlich, um diese seine Erfindung den Kriegs schiffbauern zu empfehlen, welche in den letzten Jahren, gestützt auf die Erfahrungen im chinesisch japanischen Krieg, bekanntlich auf Kriegsschiffen kaum noch Holz verwendeten, nicht nur der Feuers gefahr wegen, sondern in gleichem Mafse wegen der starken Splitterwirkung, die indefs durch die Ellissche Erfindung nicht beseitigt wird. Sehr interessant war der nächste Vortrag von J. Durston, Engineer in Chief of the Royal Navy, und des Hrn. T. Milton, Chief-Engineer Surveyor Lloyds Registry of Shiping, über das Thema: Ein Ueberblick über die Geschichte und den Fortschritt des Schiffsmaschinenbaues in der Königl. Kriegsmarine sowie der Handels marine von der Gründung der Institution of Naval Architects bis zur Jetztzeit. Wegen der darin gegebenen Entwicklungsgeschichte der englischen Kriegsschiffbauten sei dieser Vortrag weiter unten einer eingehenden Besprechung unter zogen. An sonstigen Vorträgen sind noch zu nennen: eine Abhandlung von P. Sigaudy über die An wendung von Wasserrohrkesseln (Normand- Sigaudy-Typ) in schnellen Oceandampfern. Hr. S. ist der Ansicht, dafs man mit den bisher üblichen Cylinderkesseln bei den grofsen Geschwindigkeiten, welche heutzutage von unseren Schnelldampfern verlangt würden, sowohl was Leistungsfähigkeit, wie auch Gewichtsverhältnisse betreffe, an der Grenze des Ausführbaren angelangt sei. Wie die Kriegsmarinen jetzt fast ausnahmslos zu dem System der Wasserrohrkessel übergegangen seien, und die bedeutenden Erfolge der letzten Jahre hinsichtlich schneller Dampferzeugung und Fahr geschwindigkeit hauptsächlich diesem neuen Kessel system zuzuschreiben seien, so müsse auch die Handelsmarine die alte Bahn verlassen und die neuen Kessel verwenden, weil sie allein dadurch imstande sein würde, höheren Ansprüchen zu ge nügen. An einem Beispiel für einen Schnell dampfer von 23 000 HP sucht dann Vortragender die Ueberlegenheit der Normand-Sigaudy-Wasser rohrkessel gegenüber den üblichen Cylinderkesseln nachzuweisen. Von den Vorträgen des zweiten Verhandlungs tages ist in erster Linie eine Abhandlung des früheren Chefconstructeurs der englischen Marine, Sir Edward Reed, zu nennen. Er sprach über die Fortschritte der mathematischen Theorie im Schiffbau seit den letzten 40 Jahren und hob in allererster Linie die grofse Wichtigkeit der Berechnung der Beanspruchungen hervor, denen unsere Schiffskörper in den Verbänden, sowohl in stillem Wasser, als auch in Fahrt auf bewegter See unterworfen sind, ein Thema, welches ich selbst in Nr. 19, Jahrgang 1895 dieser Zeit schrift gestreift habe. Vortragender beklagte es sehr, dafs hinsichtlich der Bestimmung solcher Beanspruchungen eine eingehende und erschöpfende Theorie noch nicht bestehe, dafs allerdings eine Reihe einzelner Kapitel aus diesem Gebiete mit verschiedenem Erfolg behandelt seien, dafs es aber wohl der jüngeren Generation Vorbehalten bleibe, über diese so äufserst wichtige Frage ge nügende Aufklärung zu schaffen. Gerade bei den grofsen und langen Schiffen der Neuzeit dränge sich die Frage der Festigkeitsberechnung unabweisbar in den Vordergrund der Ueberlegung, und hier sei es nicht allein ein Resultat für den Schiff bauer, welches jene Rechnungen und Unter-