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1. Juli 1897. Berichte über Kersdmniltmyen aus i'achvereinen. Stahl und Eisen. 553’ Berichte über Versammlungen aus Fach vereinen. Verein deutscher Ingenieure. (38. Hauptversammlung des Vereins deutscher Ingenieure in Cassel vom 14. bis 17. Juni.) Die diesjährige, nach der letzten Theilnehmerliste von etwa 350 Mitgliedern besuchte Versammlung wurde durch einen Begrüfsungsabend, das sogenannte „Fest der Stadt“, in ebenso gastfreier wie herzlicher Weise eröffnet. Unter Leitung des Vorsitzenden des Vereins, Commerzienrath K u h n - Stuttgart, wurden die Sitzungen am Montag im Saale der Loge zur Eintracht und Standhaftigkeit begonnen. Oberpräsident Magdeburg, Eisenbahndirectionspräsident Ulrich, Oberbürgermeister Westerburg und die Handels kammer durch ihren Vorsitzenden, Commerzienrath Pfeiffer, begrüfsten alsdann die Versammlung. Aus dem vom Vereinsdirector, Th. Peters, er statteten Geschäftsbericht für das verflossene Jahr ist hervorzuheben, dafs der Verein sich in derselben erfreulichen Weise wie bisher weiter entwickelt hat; er zählt nunmehr über 11 600 Mitglieder. Zu seinen 36 Bezirksvereinen ist ein 37 ster, der Dresdener, hinzugetreten. Die Auflage der Zeitschrift beträgt 13500. Ein wichtiges Ereignifs im Leben des Vereins ist die Vollendung eines eigenen Hauses an hervor ragender Stelle in Berlin, das am 11. Juni eingeweiht worden ist. Die vom Verein gegründete Hülfskasse für deutsche Ingenieure hat bislang in den kurzen Jahren ihres Bestehens ein Kapital von etwa 30 000 JI, angesammelt. Director Rieppel aus Nürnberg hielt unter Vor führung zahlreicher Bilder und Zeichnungen den an gekündigten Vortrag über Die Thalbrücke Müngsten. Da über diese Brücke in dieser Zeitschrift bereits berichtet ist* und die Redaction beabsichtigt, dem nächst weitere Angaben in einem besonderen Artikel zu bringen, so beschränken wir uns auf den kurzen Hinweis, dafs diese Aufsehen erregende Brücke, welche nach dem Entwürfe des Vortragenden die Thalsohle mit einer Bogenbrücke von 170 m Weite und die Thal- wände mit sogenannten Gerüstbrücken überspannt, durch die Nürnberger Maschinenbau- Actiengesellschaft in den Jahren 1894 bis 1897 zur Ausführung gebracht wurde. Bei der grolsen Höhe von 107 m der Brücken oherkante über dem Wupperwasserspiegel mufste das Mittelfeld, der Bogen, vermittelst Rückankerung in die felsigen Thalwände von beiden Seiten als Consolen frei vorkragend gebaut werden. Zu diesem Vorbau bediente man sich mächtiger, elektrisch angetriebener Dreh- krähne, die sich auf der Oberkante der Gonstruction bewegten. Der Zusammenschlufs der beiden Gonsolen zum Bogen in der Mitte erfolgte genau nach den gemachten Vorraussetzungen und zwar in der 3. Märzwoche d. J. Die König!. Eisenbahndirection Elberfeld gab daraufhin am 22. März d. J., dem deutschen Jubeltage, den sämmtlichen Bauleuten ein Richtfest. Bis heute sind die verbliebenen Arbeiten so weit gefördert, dafs Ende dieses Monats die Probebelastung der Brücke und bald darauf die Eröffnung der Bahn erfolgen kann. Erwähnenswerth ist, dafs zum Bau der Brücke neben vielen anderen Einrichtungen eine eigene Bergbahn mit Seilbetrieb in einer gröfsten Steigung von 57 v.. H. (gleich der Pilatusbahn) hatte errichtet werden * Vergl. „Stahl und Eisen“ 1893 Nr. 22, S. 997. XIII.7 müssen, um die auf der Solinger Seite ankommenden Baumaterialien zu den einzelnen Arbeitsstellen zu verbringen. Die Gesammtkosten der rund 10 km langen Bahnlinie betragen ohne Grunderwerb 5650000 JI, wovon 2 700000 JI auf die Müngstener Thalbrücke treffen. Die Grunderwerbskosten sind 1 600000 JI, wovon je die Hälfte auf Remscheid und Solingen trifft: für Solingen hat jedoch die Königl. Eisenbahn direction 300000 J6 übernommen. Die Bahnlinie Remscheid-Solingen mit der Müngstener Thalbrücke, dem grofsartigsten deutschen Brückenbauwerk, wird reichen Segen für das schöne und industriereiche bergische Land im besonderen und für unser deutsches Vaterland im allgemeinen bringen. Lebhafter, wiederholter Beifall begleitete die Ausführungen des um das Gelingen des grofsen Werkes hochverdienten Redners. Dann folgte Oberingenieur Mül 1 e r - Cassel mit einem Vortrag über: Die hessische Industrie. Wie alle Industrien ist auch die hessische aus häuslichen Gewerbebetrieben hervorgegangen. Ins besondere gilt dies von der Textilindustrie; auch heute noch sind häusliche Betriebe, mit Spinnrad und Hand webstuhl arbeitend, in den meisten ländlichen Be zirken- Hessens anzutreffen. Davon abgesehen, be schränkt sich die nordhessische Textilindustrie auf 51 Grofsbetriebe mit rund 3000 Arbeitern. Auch die Papierindustrie Hessens ist schon sehr alt, und zwar war sie in früheren Zeiten durch die Natur des Landes sehr begünstigt. Dies fällt nicht mehr so ins Gewicht, seit neuerdings der Maschinenbetrieb sich sehr ver vollkommnet hat und zu den Hadern der Holzschliff als Rohmaterial hinzugetreten ist. Die heutige Papier industrie concentrirt sich auf einige grölsere Fabriken in Cassel und seiner Umgebung. Ebenso alt wie be deutend ist die hessische Thonindustrie. Ein ganz hervorragender Thon findet sich in der Umgebung der kleinen Stadt Grofs-Almerode; die daraus her gestellten Gegenstände haben sich Weltruf erworben. Ferner weist die Umgegend Cassels eine ganze Anzahl Ringofen - Ziegeleien mit Maschinenbetrieb auf. Der Bergbau Hessens ist weniger bedeutend.* Der her vorragendste Zweig ist die Braunkohlengewinnung, die auch zur Entstehung einiger Brikettfabriken Ver anlassung gegeben hat. Der Erzbergbau ist kaum nennenswerth. Dafs unter solchen Umständen der Boden für die Entwicklung der Metallindustrie nicht günstig war, liegt auf der Hand. Unter den nicht zahlreichen Werken dieses Gebietes sind aber dennoch einige, die besondere Beachtung verdienen: so vor Allem die Locomotivfabrik von Henschel & Sohn, die jährlich bis zu 300 Locomotiven fertig zu stellen vermag; die Actiengesellschaft für Federstahlindustrie, die sich mit der Fabrication von Uhr- und Schreib federstahl, Fahrradtheilen, Corsettfedern u. dergl. befafst; die Actiengesellschaft vorm. Beck & Henkel, deren Besonderheit die Einrichtung öffentlicher Schlachthöfe ist. Neben diesen und manchen anderen Betrieben des Grofsmaschinenbaues, Waggonfabriken, Werken der Holzindustrie, ist auch das Gebiet der Fein mechanik in Cassel in beachtenswertlier Weise ver treten. Schliefslich ist noch zu erwähnen, dafs Cassel * Ueber den Bergbau verbreitet sich auch noch die vom Hessischen Bezirksverein dargebotene treff liche Festschrift. 5