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Schon in den ersten achtziger Jahren, als die verschiedenen Entwürfe zum Unfallversicherungs gesetz zur Berathung und Erörterung gelangten, war eine der wichtigsten Streitfragen die, ob man überhaupt eine Garenzzeit einführen sollte oder nicht. Eine kleine Anzahl von Reichstagsabgeord neten wollte die Garenzzeit ganz beseitigt haben und zwar deshalb, weil dann die gesammten Un fälle den Berufsgenossenschaften zur Last gefallen wären. Die Mehrheit des Reichstags entschied sich für eine 13 wöchige Garenzzeit und zwar aus ganz berchtigten Gründen. Ein Hauptgrundsatz des Unfallversicherungsgesetzes ist, dafs die Arbeit geber allein die Kosten der Versicherung tragen und dafs jeder Unfall, mit Ausnahme des vorsätz lich herbeigeführten, eine Entschädigung erfahren soll. Danach ist also sicher, und ist durch die Praxis ja in aufserordentlich vielen Fällen bestätigt, dafs von den Arbeitgebern auch solche Unfälle entschädigt werden, welche durch die Schuld der Arbeiter herbeigeführt sind. Nun wäre es einer solchen Eventualität gegenüber geradezu leicht sinnig gewesen, die Arbeiter von jeglicher Be lastung, die aus den Unfällen entsteht, zu befreien; da man sie aber nicht im Gesetze selbst zu den Kosten heranziehen wollte, so blieb nichts Anderes übrig, als ihnen zu 2/3 die Unfälle zuzuschieben, welche in den ersten 13 Wochen nach dem Ein tritt noch nicht zur Erledigung gelangt sind. Auch mufste man sich sagen, dafs, da die Kranken kassen in viel gröfserer Anzahl vertreten sind, als die rentenfeststellenden Organe der Berufs genossenschaften, die ersteren viel besser in der Lage sind, die leichteren Unfälle zu behandeln als die letzteren. Trotzdem machte sich auch jetzt in der Reichstagscommission eine Strömung geltend, welche überhaupt die Garenzzeit ab geschafft wissen wollte; sie kam zu keinem Er folge. Indefs trat eine andere Richtung auf, welche die Dauer der Garenzzeit vermindern wollte und zwar von 13 auf 4 Wochen. Es war dies nichts weiter als eine Bestrebung auf Entlastung der Arbeiter und der Krankenkassen. Die Reichstags commission nahm einen darauf bezüglichen Be- schlufs sogar in erster Lesung an. Als jedoch die Vertreter der verbündeten Regierung nach wiesen, dafs damit den Berufsgenossenschaften kolossale Arbeiten auferlegt werden würden, schlug die Stimmung in der Commission um. Die Ver treter der verbündeten Regierungen wiesen nach, dafs, wenn die 4 wöchige Garenzzeit bestanden hätte, im Jahre 1895 statt der insgesammt zur Entschädigung gelangten 34 800 Unfälle etwa 76 000 und statt der 7400 Unfälle mit vorüber gehender Erwerbsunfähigkeit gar 48 000 zur Ent schädigung hätten gelangen müssen. Selbst wenn, was noch gar nicht sicher ist, die finanzielle Be lastung für die Berufsgenossenschaften aus einer solchen Kürzung der Garenzzeit keine bedeutende sein würde, so würde doch die Feststellung aller auf die Unfälle bezüglichen Thatsachen bei einer solchen Vermehrung eine Arbeit erfordern, welche namentlich nicht von den in den Ehrenämtern der Berufsgenossenschaften thätigen Männern ver langt werden kann. Man vergifst leider nur zu leicht den Unterschied zwischen Krankenkassen und Berufsgenossenschaften, und dafs bei den Krankenkassen meist bezahlte Leute entscheiden, während in den Berufsgenossenschaften das Ehren amt überwiegt. Die Mehrheit der Reichstags commission sah auch ein, dafs sie so nicht zum Ziele gelangen würde, und schlug deshalb als Gompromifs folgenden Weg vor: Die Garenzzeit sollte nicht in ihrer Dauer beschränkt werden, indefs sollten die Krankenkassen für alle Auf wendungen, welche sie für die Unfälle zwischen der 4. und 13. Woche hätten, durch die Erstattung des Krankengeldes für diese Zeit seilens der Be rufsgenossenschaften entschädigt werden. Ein dahin gehender Antrag ist auch in das Gesetz aufgenommen worden, aber ob er Aussicht auf Erfolg für spätere Zeiten hat, ist doch recht zweifel haft. Es ist keine Frage, dafs, wenn eine solche Regelung Platz grille, davon nicht blofs das Ge werbe im engeren Sinne, sondern auch die Land- wirthschaft betroffen werden müfste. Der Land- wirthschaft in der gegenwärtigen Zeit neue Lasten auferlegen, wird doch aber thatsächlich Niemand wollen. Auch' kommt hinzu, dafs, wenn die Be rufsgenossenschaften von einer solchen neuen Last betroffen werden würden, der Durchführung einer an sich wünschens werthen Mafsnahme, nämlich der Ausdehnung der Krankenversicherung für die Landwirthschaft, entgegengewirkt würde. Es ist nämlich durchaus nicht überall im Reiche für die Land wirthschaft die Krankenversicherung vorhanden. Diese kann durch Ortsstatut eingeführt werden. Wenn nun die landwirthschaftlichen Arbeitgeber aus der Unfallversicherung noch mehr belastet würden, so würden sie sich voraussichtlich mehr noch als jetzt dagegen wehren, weitere Lasten aus einer neuen Versicherung zu übernehmen. Es scheint uns also, als wenn die Beschlüsse der Reichstagscommission bezüglich der Garenzzeit auch in späteren Jahren keine Aussicht auf Erfolg hätten. In anderer Richtung wäre es allerdings ganz wünschenswerth, dafs die Reichstagscommission mit ihrem ersten Vorgehen Recht behielte, und hier ist auch die Wahrscheinlichkeit dazu vorhanden. In dem Entwurf der verbündeten Regierungen war, wie erinnerlich sein wird, eine grofse Be schränkung der Thätigkeit des Reichs versicherungsamtes vorgesehen. Gegen die Entscheidungen der Schiedsgerichte ist nämlich gegenwärtig der Recurs an das Reichs versicherungsamt in allen Fällen zugelassen, ausgenommen diejenigen, in denen es sich um den Ersatz der Kosten des Heilverfahrens und der Beerdigungskosten, oder um die für die Dauer