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15. Juli 1897. Dax Fahrrad als Verkehrsmittel und im Heeresdienst. Stahl und Eisen. 589 Ohne dem Humor sein Recht schmälern zu wollen, können wir diesen Beschränkungen, die doch nur Sicherheitsmafsregeln sein sollen, eine gewisse Berechtigung nicht absprechen, die aber mit dem Schwinden der Ursache hinfällig wird. Das wird auch beim Fahrrad kommen, wenn dasselbe in erster Linie Verkehrsmittel und nur nebenbei Sportgeräth sein wird. In dem lehrreichen Aufsatz über „Das Fahr rad und seine Fabrication“ in Heft 1 und 2 des laufenden Jahrgangs dieser Zeitschrift ist nach gewiesen worden, wie das Fahrrad durch fort schreitende technische Verbesserungen den Bereich seiner Verwendbarkeit nach und nach erweiterte und zu einem heute schon unentbehrlichen Ver kehrsmittel geworden ist. Sein Entwicklungsgang ist noch keineswegs als abgeschlossen zu betrachten. Wer hätte in dem alten „Knochenschüttler“ die heutigen Nachkommen vorausgesehen! Aber das Fahrrad ist auch nicht unabhängig von dem Wege, den es befährt, und wird immer von ihm abhängig bleiben. An meinem Hause, vor den Thoren Berlins, führt. eine breite gepflasterte Strafse, ein Hauptverkehrsweg, vorbei, der aber für Radfahrer der wahre Marterweg ist, auf dem das schönste Rad mit Pneumatikreifen wieder zum „Knochen schüttler“ wird. Sollte nicht eine Zeit kommen, in der beim Wegebau, wie heute auf Fufsgänger und Reiter, auch auf Radfahrer Rücksicht genommen und für sie in bescheidener Breite ein Sonderweg hergerichtet wird?* Die Verbreitung des Fahr rades als Verkehrsmittel würde dadurch ohne Zweifel sehr gewinnen. Als der „alte Harkort“, der weitblickende Vorkämpfer für den Bau von Eisenbahnen in Deutschland, sagte: „ Die Generation nach uns wird sich wundern, wie es möglich war, dafs ihre Väter so bedenkliche Gesichter bei einer so einfachen und nützlichen Sache (wie die Eisenbahnen) schneiden konnten“, hatte er schwer lich eine Vorstellung von der heutigen Entwicklung der Eisenbahnen. „Unsere Zeit steht unter dem Zeichen des Verkehrs“, zu den Verkehrsmitteln gehört auch das Fahrrad. — Für die Entwicklung der Verkehrsmittel hat sich unsere Heeresverwaltung stets besonders fein fühlig und verständnifsvoll fördernd gezeigt. Das Eisenbahn- und Telegraphenwesen hat ihrem Ein- Hufs viel zu danken. Das ist erklärlich, weil sie erst dann solcher Einrichtungen im Kriege sich ungestraft bedienen darf, wenn sie eine hinreichende Sicherheit für ihren Erfolg bieten. Nichts unter scheidet die Kriegführung der Neuzeit mehr von der früheren, bis zu der noch in den Befreiungs * Inzwischen (seitdem ich Obiges schrieb) hat die „Sportparkgesellschaft Friedenau“, die in ihrem Sport park eine vorzügliche Radrennbahn eingerichtet hat, am Rande der erwähnten schlecht gepflasterten Strafse einen etwa 2,5 km langen, 2 m breiten Radfahrerweg nach Art der Parkwege bis zum Sportpark anlegen lassen. Der Anfang ist also schon gemacht. kriegen angewendeten, als die schnelle Bewegung der Heere im Ganzen, wie in allen ihren Theilen. Die Bewegungsschnelligkeit ist zu einem werth- vollen Kriegs- und Kampfmittel geworden, welches dem zu grofsen Erfolgen verhelfen kann, der sich seiner am ausgiebigsten zu bedienen versteht. Daher sind heute die Heeresverwaltungen aller Culturstaaten bemüht, sich die technischen Hülfs- mittel zur Erreichung der damit verbundenen Vor theile zu verschaffen. Deshalb durften sie auch das Fahrrad nicht mehr unbeachtet lassen, als dasselbe durch seine technischen Verbesserungen einen hinreichenden Grad von Verläfslichkeit gewonnen und die einschlägige Technik gezeigt hatte, dafs sie zu weiteren Verbesserungen, wie zur Anpassung des Fahrrades an die Gebrauchs weise des Heeres imstande ist. Es lag nahe, das Fahrrad, seiner Schnelligkeit wegen, zunächst zur Entlastung der so überaus viel in Anspruch genommenen Cavallerie im Melde dienst zu verwenden. In diesem Sinne haben es die Franzosen bereits während der Belagerung von Beifort 1870/71 mit Erfolg benutzt und damit den Anstofs gegeben, dem die anderen europäischen Heere nach und nach folgten. Die Franzosen benutzten die damals gebräuchliche hohe Renn maschine, deren Bauart jede andere militärische Verwendung, als zu Meldezwecken auf gebahnten Wegen, ausschlofs. Selbst auf diesen war die Fahrsicherheit, wegen des leichten Ueberstürzens des Fahrers beim Anstofs an geringfügige Hinder nisse, nur mangelhaft, weshalb man die Maschinen mit zwei gleich hohen Rädern und Kettenantrieb, um den Gegensatz hervorzuheben, „Sicherheits räder“ nannte. Erst mit den hohen Rennmaschinen kam diese Bezeichnung aufser Gebrauch. Diese Sicherheitsräder waren es, die von den Truppen versuchsweise in Gebrauch genommen wurden, und je länger man sie benutzte, um so mehr erweiterte sich ihr Verwendungsbereich und zwar in allen Heeren. Wie gering aber das Vertrauen in die Sicherheit des Fahrrads noch bis in das jetzige Jahrzehnt hinein war, geht daraus hervor, dafs man in mehreren Heeren, so auch im deutschen, sich zwar des Fahrrades zur Befehlsüberbringung, besonders in den grofsen Festungen zwischen diesen und den Forts, bediente, seine Verwendung im Kriege jedoch nicht beab sichtigte. Dementsprechend wurde das Fahrrad auch bei den grofsen Herbstübungen nicht benutzt. In Frankreich, England (zunächst nur bei den Volunteers), in Oesterreich, auch in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo der Gebrauch des Fahrrads auch als Verkehrsmittel inzwischen viel allgemeiner geworden war, fafste das Fahrrad in den Heeren festen Fufs und machte sich bald bei den Felddienstübungen im Aufklärungs-, Nach richten-, Sicherheits- und Meldedienst so unentbehr lich, dafs besondere Radfahrerabtheilungen dauernd in die Truppenverbände eingegliedert wurden.