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Anspruch genommen werden können. Hieraus wird man vor Allem die Consequenz ziehen, dafs die Arbeiterversicherungspolitik sich auf Pläne, welche die Einführung neuer Versicherungsarten zum Gegenstand haben, nicht einlassen darf. Noch immer taucht in wissenschaftlichen Er örterungen der Plan einer Arbeitslosenver sicherung auf. Ueber die Frage ist schliefslich schon eine ganze Literatur zusammengeschrieben worden, ohne dafs auch nur über die Hauptfragen Klarheit geschaffen wäre. So ist es namentlich bisher Niemandem gelungen, das Problem zu lösen, wie man unverschuldete und verschuldete Arbeitslosigkeit voneinander genau unterscheiden könnte, und dies wäre doch die Voraussetzung jeder Arbeitslosenversicherung, denn unmöglich dürfte sie sich auf die Fälle der verschuldeten Arbeitslosigkeit erstrecken; sie würde sonst geradezu die Faulheit grofsziehen. Die wissenschaft lichen Besprechungen der Frage gehen dieser und anderen Grundfragen stets aus dem Wege und halfen sich mehr an Aeufserlichkeiten. Ein jüngst erschienenes Buch von Prof. Georg Schanz in Würzburg, der sich schon einmal gegen die Arbeits losenversicherung ausgesprochen hat („Neue Bei träge zur Frage der Arbeitslosenversicherung“), hat sich das Verdienst erworben, auf die Mängel der bisher erschienenen Besprechungen der Arbeits losenversicherung hinzuweisen, und hat stricte nachgewiesen, dafs eine staatliche Arbeitslosen versicherung, auch eine gemeindliche, keineswegs die Vortheile bietet, welche ihr verschiedene Ideologen andichten wollen, dafs sie aber so viel Mängel enthalten würde, dafs sie dem thätigen Arbeiterstande mehr schaden als nützen könnte. Prof. Schanz ist sicherlich selbst nicht im Zweifel darüber, dafs seine Ausführungen bestimmte Social politiker nicht davon abhalten werden, auf dem Gebiete der Arbeitslosenversicherung weiter zu spintisiren. Die Erörterungen darüber erhalten hin und wieder durch die Versuche, welche in schweizerischen Städten praktisch gemacht werden, Nahrung. Auf diese Idee wird eine vernünftige Arbeiterversicherungspolitik vorläufig überhaupt nicht eingehen können. Sie sind, solange sie keine gediegeneren Grundlagen aufweisen, für die praktische Politik unverwerthbar. Aber auch die Idee, die Prof. Schanz an ihre Stelle setzen will, die des individuellen Arbeilersparzwanges, ist so lange für die praktische Politik als verfehlt zu bezeichnen, als dem Arbeitgeber dabei eine mitzahlende Rolle zugemuthet wird. In unserer Arbeiterversicherungspolitik mufs als leitender Grundsatz angesehen werden, dafs die Arbeit geber vorläufig überhaupt nicht weiter mit Opfern für die Arbeiter belastet werden. Die Arbeitgeber zahlen in Deutschland für die Arbeiter gerade genug, und sie haben das ganz richtige Empfinden, dafs vorläufig einmal in Deutsch land abgewartet werden kann, wie sich die Arbeit geber anderer Länder zur Versicherung ihrer Arbeiter stellen werden. Man sieht doch, dafs andere Gullurnationen es durchaus nicht so eilig haben, auch nur einem der in dieser Beziehung von Deutschland gegebenen Beispiele zu folgen. Weshalb, ist ganz klar. Auf dem Weltmarkt wird diejenige Industrie den Sieg erringen, welche die geringsten Gestehungskosten hat. Niemand wird aber leugnen, dafs durch die Beiträge für die Arbeiterversicherung, welche dem Arbeitgeber zur Last fallen, und indirect auch durch diejenigen, welche die Arbeiter selbst zahlen, die Gestehungs kosten für die deutschen Producte im Laufe der letzten 15 Jahre aufserordentlich gestiegen sind. Eine andere Versicherungsart, welche des öfteren neu in Vorschlag gebracht wird und selbst von Politikern als wünschenswerth bezeichnet wurde, die sonst auf einem recht vernünftigen socialpolitischen Standpunkt stehen, ist die der Versicherung der Wittwen und Waisen der Arbeiter. Auch hiervon kann in der prak tischen Arbeiterversicherungspolitik vorläufig nicht die Rede sein. Es giebt recht viele schöne Pläne, die sich in der Praxis nicht verwirklichen lassen, und zu diesen gehört, wenigstens vorläufig, die Wittwen- und Waisen Versicherung der Arbeiter. Schon als man die Grundzüge für die Invaliditäts- und Altersversicherung feststellte, dachte man in Regierungskreisen auch daran, gleichzeitig auch die Frage der Wittwen- und Waisenversicherung zu lösen. Es wurden damals Berechnungen über die finanzielle Tragweite des Planes angestellt, und man fand, dafs, wenn man für die Wittwe nur eine Rente von 60 e/6, und für jedes Kind eine solche von 30 •6 in Aussicht nähme, sich eine Belastung von rund 16 •6 auf den Kopf des männlichen Arbeiters, also bei etwa 71/2 Mil lionen männlicher Arbeiter ein Bedarf von rund 120 Millionen Mark als nothwendig herausstellen würde. Es würde das also jährlich ungefähr so viel sein, wie nunmehr in elf Jahren sämmt- liche gewerbliche Berufsgenossensehaften in ihren Reservefonds aufgespeichert haben. Selbst wenn man den Gedanken fassen wollte, die Aufbringung der Kosten den Arbeitern allein aufzuerlegen, so würde doch immer der Arbeitgeber, der als das Ende die Last trägt, die gesammten Kosten auf bringen müssen; denn davon kann man überzeugt sein, dafs der Arbeiter sich weigern wird, von seinem jetzigen Lohne die Kosten zu bestreiten, er wird dann eben einen höheren beanspruchen. Dem Arbeitgeber aber diese Lasten, oder einen Theil derselben auch direct aufzubürden, wird so lange ungeheuerlich sein, als überhaupt noch nicht das Beharrungsstadium bei Unfall-, sowie Invaliditäts- und Altersversicherung erreicht ist. Man hört zwar bezüglich der letzteren die Bot schaft, dafs es auch für spätere Beitragsperioden bei den zuerst festgesetzten Wochenbeiträgen bleiben wird, allein es fehlt auch hier vielfach