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Hängebrücken der Neuzeit. 15. Juni 1897. förmig ineinander geschlagenen Drähten bestehen, und die mit den Tragseilen auswechselbar ver bunden sind. Diese Spiralkabel werden in der Werkstatt hergestellt und zeigen eine so ausreichende Biegsamkeit, dafs man sie fertig an Ort und Stelle aufhängen kann. Auf der Beilage sind zwei .neuere nach diesem Verfahren gebaute Hängebrücken veranschaulicht: die Pont du Midi über die Saöne in Lyon (121 m Länge) und die Pont d’Avignon über die Rhone bei Vaucluse (224 m Länge). Ich verdanke die Abbildungen der Güte des Hrn. Ingenieur Arnodin in Chteau- neuf sur Loire, unter dessen besonders thätiger Mitwirkung die neueren französischen Drahtbrücken entstanden sind. Die Mittel zur Versteifung be stehen bei diesen Brücken nur in der Anbringung von starkgebauten eisernen Streckträgern und Fahrbahnen. Die Tragwände zwischen den Kabeln und den Streckträgern sind nicht versteift, wohl aber dienen die von den Pfeilern strahlenförmig auslaufenden geraden Hülfsseile (die amerikanischen stays) zum Mittragen desjenigen Theiles der Fahr bahnen, der nicht schon an den senkrechten Tragseilen hängt. Die Steifigkeit der französischen Kabelbrücken soll (nach der Angabe des Ingenieur Arnodin) eine so vollkommene sein, dafs man infolge ihrer geringen Bewegungen in senkrechter Ebene die Strafsenfahrbahnen sogar aus Asphalt herstellt. Aus diesem Grunde sagte ich bereits in meinem Hamburger Vortrage:* „Wo an Ge meinden, Kreise oder Provinzen die Nothwendigkeit des Baues einer festen Strafsenbrücke herantritt, kann unter Umständen, namentlich wenn die Kostenfrage im Vordergründe steht, die Wahl einer dergestalt ausgebildeten Drahtkabel-Hänge brücke als einzig mögliche Lösung vollständig gerechtfertigt erscheinen. Zweifellos müssen aber die französischen Draht brücken den sog. „Hängefachwerken" gegen über als minderwerthig bezeichnet werden. Das Hängefachwerk ist wohl die vollkommenste Ver steifung einer Hängebrücke. Es wird ausgeführt durch eine Gitterausfachung der Tragwände zwischen den Hängegurten und den Streckträgern, eine Anordnung, die zum erstenmal im Jahre 1862 bei der von Barlow erbauten 85 m weit gespannten Lambeth-Brücke über die Themse in London er schienen ist. Die Hängefachwerke haben in neuester Zeit in Deutschland wohlverdiente Be achtung gefunden, besonders nachdem in dem internationalen Wettbewerbe um zwei Donau brücken in Budapest ein derartiger Entwurf für die Fövamterbrücke,** der vom Oberingenieur Kübler der Maschinenfabrik Efslingen herrührt, mit in erster Linie gestanden hat. Kübler erhielt * Weitgespannte Strom- und Thaibrücken der Neuzeit, „Centralblatt der Bauverwaltung“ 1890. * * Diese Brücke ist als Auslegerbrücke zur Aus führung gekommen und trägt jetzt den Namen Kaiser- Franz-Joseph-Brücke. den ersten Preis allerdings für seinen Entwurf der Esküter- oder Schwurplatz-Brücke (vgl. Beilage), die nicht Hängefachwerk zeigte, sondern (zum Theil nach amerikanischem Vorbilde) bei einer einzigen Oeffnung von 310 m Weite nur durch einen Balkenträger versteift war. Eine Versteifung allein durch einen Balkenträger wird ihren Zweck aber vollkommen genügend nur erreichen können, wenn die Versteifungsträger hoch genug gehalten werden. Dann sieht die Anordnung aber sehr häfslich aus, wie man aus den amerikanischen Beispielen (Abbild. 3 und 5) ersehen kann, auch gewähren zu hohe Träger keinen freien Umblick von der Fahrbahn aus, was bei landschaftlich hervorragenden Umgebungen der Brücke mit Recht verlangt werden darf. Macht man aber die Versteifungsträger niedrig, so fallen sie sehr schwer und theuer aus, oder man mufs zu Con- structions-Hülfsmitteln greifen, die meistens die schon vorhandene Unbestimmtheit der Last übertragung noch in unliebsamer Weise ver- gröfsern. Im Wettbewerb um die Bonner Rhein brücke (vgl. Beilage) erzielte Kübler mit seinem Plane eines Hängefachwerks den zweiten Preis. Die gröfste Spannweite der Mittelöffnung betrug dabei 200 m, erreichte also etwa diejenige Grenze, über welche hinaus weder Bogenbrücken noch Auslegerbrücken, sowohl in den Kosten als auch in der äufseren Erscheinung, kaum mehr mit einer sachgemäls versteiften Kabelbrücke wett eifern können. In Budapest zeigte sich die 310 m weite Kabelbrücke Küblers allen übrigen wett eifernden Systemen — Bogenbrücke mit Kabel versteifung, reine Bogenbrücke und Ausleger brücke — im Gewichte weit überlegen. Die Kabelbrücke wog nämlich nur 5425 t, während die übrigen genannten Systeme 7115 t, 8345 t bis 8500 t Eisengewicht erreichten.* Als weiteres Zeichen dafür, wie sehr man neuerdings in Deutschland den Hängebrücken Beachtung schenkt, mögen hier schiefslich noch zwei Entwürfe der Maschinenbau-Actien- gesellschaft Nürnberg aus dem jüngsten Wettbewerb um eine feste Strafsenbrücke über den Rhein bei Worms Erwähnung linden.** Beide Entwürfe zeigen Hängebrücken mit Ver steifungsträgern über 5 Oeffnungen. An Stelle der Kabel dienen hier Ketten, deren Glieder aus zähhartem Flufsstahl gebildet sind. Ganz eigenartig ist der zweite Entwurf, weil der Ver- steifungsträger nicht, wie gewöhnlich, unter, sondern hoch über der Fahrbahn liegt. Demnach hat man in jeder Oeffnung 2 Ketten, eine sogenannte Tragkette zur Aufnahme der Fahrbahnlasten, die nach der Gleichgewichtsform für gleich- mäfsig vertheilte Belastung gebildet ist, dazu die Versteifungskette, als Träger mit Ober- und Unter- * „Centralblatt der Bauverwaltung“ 1894. ** „Centralblatt der Bauverwaltung“ 1896, S. 116.