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1. September 1898. Berichte über Versammlungen aus Fachvereinen. 824 Stahl und Eisen. Berichte über Versammlungen aus Fach vereinen zu wahren sei, verzichtete die Versammlung darauf, * Vgl. „Stahl und Eisen“ 1898, Nr. 12 vom 15. Juni. zur der das Frage der Errichtung einer Reichsanstalt oder Uebernahme der Charlottenburger Anstalt auf Reich eine bestimmte Stellung zu nehmen. Allgemein wurde hervorgehoben, dafs die be- Deutscher Verband für die Material prüfungen der Technik. stehenden Landesanstalten mittelbar und unmittelbar in hervorragender Weise zum Segen der deutschen Industrie auf den verschiedensten Gebieten gewirkt haben, und von mehreren Seiten wurde die Be fürchtung ausgesprochen, dafs eine Reichsversuchs anstalt im ungleichen Wettkampfe mit den Landes anstalten das Ansehen der letzteren beeinträchtigen und dadurch zu deren Verkümmerung oder wohl gar zu ihrem völligen Eingehen führen könnte. Dies aber mufs unter allen Umständen vermieden werden, denn es ist klar: 1. dafs die Unterrichtsaufgaben auf dem Gebiete der Materialprüfung nur durch die Landesanstalten in Verbindung mit Hochschulen gelöst werden können, 2. dafs es für eine grofse Reihe von Forschungsarbeiten von höchstem Werthe ist, die Landesanstalten in ihrer völligen Unabhängigkeit zu erhalten, um einer gröfseren Zahl von Männern der Wissenschaft die Möglichkeit zu wahren, ganz und gar aus eigenem Antriebe, unbeeinflufst durch höhere Weisung oder Anleitung, sich denjenigen Aufgaben zu widmen, zu denen sie selbst sich berufen und befähigt fühlen. 3. Auch von den „praktischen Arbeiten“, den gegen Entgelt zu erledigenden Aufträgen der Behörden und der Privatindustrie, wird ein grofser Theil zweckmäfsiger und schneller als durch eine Cen- tralanstalt, durch mehrere Landesanstalten zu be sorgen sein — und auf schnelle Erledigung ist hierbei in den meisten Fällen besonderer Werth zu legen ! — Es ist von Wichtigkeit, dafs auf diesem Gebiete die Versuchsanstalten mit ihren Auftraggebern leben dige persönliche Fühlung bewahren. Alle diese Gründe sprechen für die Nothwendigkeit, die Landesanstalten zu erhalten und auf das kräftigste zu fördern. Verschiedene Arbeiten der Versuchsanstalten er fordern aber für ihre Ausführung Anlagen oder Vor kehrungen von solchem Umfange oder Einrichtungen von so hervorragender Feinheit, dafs schon der Kosten wegen ihre Beschaffung jedenfalls seitens der kleineren Landesanstalten nicht erwartet werden darf. Erkennt man diese Einrichtungen für nothwendig, so sollte Vorsorge getroffen werden, dafs sie mindestens an einer Stelle im Reiche vorhanden sind, welche auch über das in ihrer Handhabung praktisch geübte Personal in geeigneter Zahl verfügt. In verschiedenen Industriezweigen (z. B. Papier- fabrication, Cementindustrie, Eisenindustrie) erfolgen die Lieferungen der Materialien (Fabricate) auf Grund bestimmt vereinbarter Abnahmeprüfungen. In vielen anderen wird Aehnliches angestrebt. Die Ergebnisse solcher Abnahmeprüfungen können aber unter Um ständen erheblich voneinander abweichen, wenn Lieferant und Empfänger nach verschiedenen Me thoden prüfen, verschiedene Belastungs- und Mefs- apparate verwenden u. s. w. Hieraus wird immer mehr das Bedürfnifs entstehen, für die eigentlichen Materialprüfungen gewisse Mafsnahmen im Sinne ein heitlicher Regelung zu treffen. Die Fortschritte und Errungenschaften unserer deutschen Industrie, die heute in aller Welt mit Be wunderung von den Einen, mit Neid von den Andern Im Anschlufs an den früheren Bericht* über die in Berlin am 4. Mai 1898 abgehaltene „Dritte Haupt versammlung des Deutschen Verbandes für die Ma terialprüfungen der Technik“ theilen wir untenstehend die damals beschlossene „Eingabe wegen Ein richtungen zur Materialprüfung durch das Reich“ an den Reichskanzler im Wortlaut mit: Berlin N. W„ den 14. Juli 1898. Charlottenstrafse 43. Euere Durchlaucht! Der Reichstag hat in seiner Sitzung vom 29. Januar 1898 auf Antrag der Abgeordneten Schmidt-Elberfeld und Dr. Paasche beschlossen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dem Reichs tage wegen Herstellung geeigneter Einrichtungen für das Materialprüfungswesen durch das Reich eine Vorlage zu machen.“ Ew. Durchlaucht Stellvertreter, der Herr Staats- secretär des Innern Dr. Graf v. Posadowsky, hat in der Verhandlung über diesen Antrag das Bedürf nifs einer Materialprüfungsstelle für das Reich an erkannt und nur die Frage noch als offen bezeichnet: ob das Reich eine eigene Versuchsanstalt errichten soll oder ob es der Königlich Preufsischen Ver suchsanstalt einen einmaligen Zuschufs zur Er weiterung und dann einen fortgesetzten Unter- haltungszuschufs gewähren soll. Der „Deutsche Verband für die Materialprüfungen der Technik“ hat in seiner diesjährigen Hauptver sammlung, an der Vertreter von Staatsbehörden, technischen und industriellen Vereinen, Dampfkessel- Revisionsvereinen, Landes-Versuchsanstalten und her vorragende Industrielle theilnahmen, den vorstehen den Antrag eingehend besprochen und bittet ehr erbietigst, Ew. Durchlaucht das Ergebnifs seiner Be sprechung in Kürze vortragen zu dürfen. Einstimmig war die Versammlung in dem Aus druck des Dankes und der Freude über die Absicht der hohen Reichsregierung, das Materialprüfungs wesen der Technik durch Zuwendung von Geldmitteln fördern zu wollen; denn von allen Seiten wurde an erkannt, dafs den in mehreren deutschen Staaten vor handenen Versuchsanstalten eine kräftige Förderung zu theil werden mufs, wenn sie den immer mehr anwachsenden Anforderungen von Industrie und Wissenschaft in ausreichender Weise Folge leisten sollen. Insbesondere wurde von den Vertretern ver schiedener Industriezweige dargelegt, dafs die Ein richtungen und die verfügbaren Geldmittel der König lichen mechanisch - technischen Versuchsanstalt zu Charlottenburg und der chemisch-technischen Ver suchsanstalt zu Berlin schon seit Jahren nicht mehr ausreichten, um dem naturgemäfs gesteigerten lau fenden Bedarf der Industrie zu genügen, geschweige denn ihrer sonstigen Leistungsfähigkeit entsprechend die Bearbeitung neuer Aufgaben in erspriefslichem und ausreichendem Mafse in die Hand zu nehmen. Ausgehend von dem von allen Seiten stark betonten Grundsatz, dafs bei den Mafsnahmen des Reichs unter allen Umständen den bestehenden Landesanstalten ihre volle Selbständigkeit und Freiheit der Bewegung