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668 Stahl und Eisen. Der Doykottaufruf gegen das Thomasschlackenmehl. 15. Juli 1898. Wenn die Bezugsvereinigung der deutschen Landwirthe die Thomasschlacke lediglich als ein Abfallproduct hinstellt, welches ohne Kosten ge wonnen wird, daher zur Vermahlung ohne nennens- werthen Preis abgegeben werden mufs, so berück sichtigt sie nicht, dafs die Stahlwerke grofse Aus gaben für Zuschlag phosphorreicher Eisenmate rialien, Kalk, Maschinenabnutzung, Arbeitslohnu.s.w. haben, wofür sie lange Jahre hindurch nicht an nähernd den vollen Ersatz ihrer Auslagen erhielten, und dafs heute alle Stahlwerke ohne Ausnahme auf eine hohe Einnahme aus Schlacken rechnen müssen. Man will nicht anerkennen, dafs, je mehr die Thomasstahlwerke prosperiren und sich vermehren, desto mehr Thomasmehl in Goncur- renz dem Superphosphat gegenübertritt und dessen Preis niedrig hält. Soweit sich zusammenstellen lüfst, werden in Europa 30 Millionen kg/Centner Superphosphat fabricirt gegenüber 13 Millionen kg/Centner Thomasmehl. Dagegen sind allein in Deutschland bei einer Culturfläche von rund 100 Millionen Morgen Ackerland und rund 4-0 Mil lionen Morgen Wiesen und Weiden mindestens 4-5 Millionen Doppel-Gentner Phosphorsäuredünger jährlich nöthig, um die Ernten auf ihrer jetzigen Höhe zu erhalten und den Phosphorsäureentzug wieder zu ersetzen, ganz abgesehen davon, dafs eine wesentliche Ertragssteigerung gröfsere Mengen Phosphorsäure jährlich erfordert. Es ist daraus zu ersehen, dafs niemals das Thomasmehl aus reichen wird, das Superphosphat zu verdrängen, sondern dafs beide Producte nothwendig sind, um den Bedarf an Phosphorsäure nur annähernd zu decken. Die Propaganda seitens der Thomasmehl fabricanten hat dazu beigetragen, dafs der deutsche Gesammtverbrauch in Phosphorsäuredüngern, wel cher hier im Jahre 1896 nur etwa 5 Millionen Doppel-Gentner betrug, jetzt auf 15 Millionen an- gewachsen ist, und es jetzt allgemein anerkannt wird, dafs die wesentliche Grundlage eines rentablen Gutsbetriebes in der vermehrten Phosphorsäure düngung liegt, diese aber leider noch in sehr ungenügender Weise ausgeführt wird. Brachte doch die Kaliphosphatdüngung auf Wiesen und Leguminosenfeldern stark vermehrte und an Stick stoff reichere Heuerträge, und konnte damit der Viehstand so vermehrt werden, dafs die Fleisch einfuhr trotz der sehr gestiegenen Bevölkerung sehr eingeschränkt worden ist. Die damit ver bundene Production gröfserer Mengen von Stall dünger hat zur Folge gehabt, dafs die Erträge an Getreide, wie die Statistik nachweist, in Deutsch land in den letzten 10 Jahren um rund 100 kg pro Hektar gestiegen sind. Während im Durch schnitt heute in Deutschland überhaupt der Hektar ertrag an Körnern rund 14 kg/Centner beträgt, weisen exacte Düngungsversuche auf minder- werthigen Bodenarten nach, dafs durch rationelle Anwendung von künstlichen Düngemitteln oben erwähnte Durchschnittserträge verdoppelt werden konnten. Wir bedürfen aber nur eines Mehr ertrages von 2 kg/Centner Körnern pro Hektar, um alle Einfuhr fremden Getreides unnöthig zu machen, und es ist gewifs, dafs dieser Fortschritt eintritt und gleichen Schritt hallen wird mit der wachsenden Bevölkerung, wenn nach und nach statt 1/4 der Ländereien sämmtliches Culturland ausreichend gedüngt wird. Darin stimmen alle klar sehenden Landwirthe überein, dafs bei einer sehr gesteigerten Production auch eine grofse Ver billigung der Productionskosten eintritt und die deutschen Landwirthe mit angemessenen Schutz zöllen gegen die ausländische Goncurrenz bestehen können. Die Aufhetzung der Bezugsvereinigung gegen Industrie und ihre Kapitalien, welche ihr so nütz lich zur Seite stehen, mufs aufhören, es mufs viel mehr ihre Einwirkung sich dahin geltend machen, dafs allgemein die Ertragssteigerung der Cultur flächen durchgeführt wird. Der Abflufs von einer Milliarde jährlich für Nahrungsmittel ins Ausland mufs thunlichst beseitigt werden; es könnte und sollte für eine steigende Bevölkerung das nöthige Fleisch und Brot nach Möglichkeit im Inlande selbst beschafft werden. Es wird wohl Niemand bezweifeln, dafs der artige Aufrufe, wie sie die Bezugsvereinigung erläfst, nicht zur Belehrung der Landwirthe bei tragen können, sondern den landwirthschaftlichen Lehrkräften ihre Arbeit, die Landwirthe zu einer rationellen Düngung zu bewegen, unendlich’ er schweren. Durch Belehrung und Ermahnung der zurückgebliebenen Landwirthe ist dies zu erreichen, nicht aber durch ruinöse Düngerpreise, dafs die in diesen Fabriken für die Landwirthschaft an gelegten vielen Millionen nicht mehr rentiren und, statt vermehrt, zurückgezogen werden. Träte des halb auch wirklich eine Preiserhöhung von 11/2 bis 2 8 f. d. kg Phosphorsäure ein, so würde solches bei einem regelmäfsigen Ersatz von 300 kg Thomasmehl pro Hektar rund 80 © bis 1 6 betragen; eine winzige Summe gegenüber dem sicher zu erzielenden 10 fachen Ertrage der Ge- sammtdüngungskosten in den nächsten 3 Jahren.