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544 Stahl und Eisen. Hu/slands Eisenindustrie und Eisenhandel im Jahre 1897. 15. Juni 1898. Diese neuen Unternehmungen werden, wenngleich sie an Gröfse den südrussischen nachstehen, doch zur Erschliefsung jener Gegend beitragen. Im mittleren Rufsland entwickelte sich eben falls eine lebhafte industrielle Thätigkeit. Die bedeutendste Anlage bilden dort die Hochöfen von Tula. Auch der Betrieb kleiner Hütten hat sich in verschiedenen Gegenden Rufslands als recht lohnend und vortheilhaft erwiesen, da ein bis zwei Hochöfen mittlerer Gröfse nicht so be trächtliche Erzvorräthe erfordern. Aufser der Neu anlage vieler Hütten ist man auf vielen Werken bereits mit Erweiterungsbauten beschäftigt. Bis jetzt war die Nachfrage zumeist gröfser als die Erzeugung; erst im Jahre 1897 gelang es, der gesteigerten Nachfrage durch die Mehr erzeugung zu genügen. Für den Zeitabschnitt 1888 bis 1894 wird die jährliche Mehrerzeugung auf 90 000 t, für 1894 bis 1896 auf 150 000 t und endlich im Jahre 1897 zu 245000 t ge schätzt. Der Verbrauch wuchs dagegen jährlich um 245 000 t mit Ausnahme der Hungerjahre 1891 und 1892. Wenn die Erzeugung in dem selben Verhältnifs weiter wächst, was beinahe unzweifelhaft erscheint, so wird von nun an die Einfuhr von Eisen und Eisenwaaren immer kleiner werden; zur Zeit verringert sich nur die Roheisen einfuhr, während die Einfuhr an Eisen und Stahl immer noch im Steigen begriffen ist. Die folgende Zusammenstellung läfst dies deutlich erkennen. Einfuhr vom 1. Sep 1. Septemb ember bis er: 1896-1897 t 1895-1896 t Zu- bezw. Abnahme in 1896-1897 t Roheisen 80 000 104 000 — 24 000 Stahl- und Eisenblech . 143 000 125 000 + 18 000 Stabeisen * 143 000 128 000 + 15 000 Stahlschienen 12 000 11 500 + 500 Maschinentheile 124 000 86 000 + 38 000 Für das Jahr 1898 wird wegen der Inbetrieb setzung grofser Walzwerke an der Wolga in Tsaritzin und Saratow, die fremdes Roheisen verarbeiten, eine stärkere Nachfrage nach Roh eisen erwartet. Demnächst soll auch ein grofses Walzwerk in Kazan dem Betrieb übergeben werden. Der Roheisenbedarf dieser Werke wird zu 245 000 t berechnet; dies dürfte zwar zunächst einen zeitweiligen Roheisenmangel herbeiführen, dann aber auch einen Anstofs zur weiteren Ver mehrung der Roheisenerzeugung geben. Zur Be schaffung billigen Roheisens erwarb das Walzwerk von Tsaritzin den Arzianskischen Hüttenbezirk im Süd-Ural, um dort mehrere Hochöfen zu errichten. Der Einflufs dieser neu entstandenen Walzwerke auf den Eisenmarkt wird sich offenbar in einem * Unter Stabeisen ist hier alles Handelseisen zu verstehen, mit Ausnahme von Blechen. Herabgehen der Preise für fertige Waare bemerkbar machen; die Händler erkennen schon jetzt die Nothwendigkeit der Preisermäfsigung. In Hinsicht darauf, dafs am 1. Januar 1898 der 12 jährige Zolltarif abläuft, entstanden bei der Frage über die Ermäfsigung des Roheisen- Einfuhrzolles gröfse Meinungsverschiedenheiten zwischen den betheiligten Industriellen. Die nörd liche Gruppe — Umgebungen von Petersburg — als Vertheidiger der Verbraucher trat für die Ermäfsigung des Einfuhrzolls, jedoch nur für Roh eisen ein, ohne Berücksichtigung anderer Eisen waaren, weil deren Zolltarif noch nicht abgelaufen war. Es versteht sich von selbst, dafs diese Roheisen-Zollermäfsigung besonders für diejenigen Werke vortheilhaft sein würde, die leicht billiges, ausländisches Roheisen bekommen können; aber es ist fraglich, ob diese Ermäfsigung auch ein Herabgehen der Eisenpreise oder ‘nur eine Er höhung des Reingewinns jener Hüttenwerke zur Folge haben würde. Im Interesse der gesammten russischen Eisen industrie ist die Erniedrigung des Roheiseneinfuhr zolles noch verfrüht. Diese Industrie hat soeben erst den breiten Weg der Entwicklung betreten, so dafs die Unbeständigkeit der Zollpolitik nur nachtheilig auf ihre Zukunft einwirken würde. Zur Errichtung von Eisenwerken braucht man gröfse Kapitalien, die nur dann von den Kapitalisten in derartigen Unternehmen angelegt werden, wenn die Dauerhaftigkeit der bestehenden Verhältnisse gesichert ist. Die Einfuhrzölle stehen mit den gesammten Interessen des Staates in engster Be ziehung. Man kann behaupten, dafs es für den Staat vortheilhafter ist, die einheimische Production zu steigern, als den Verbrauch zu vergröfsern und diesen dann aus dem Auslande zu decken. Im ersten Falle mufs zwar der Käufer allerdings zeitweilig, bis die Industrie erstarkt ist, Opfer bringen, dafür bleibt aber sein für den Einkauf verwendetes Geld im Staate und dient dazu, andere Erwerbszweige zu schaffen. Im zweiten Falle dagegen wandert das Vermögen ins Ausland und hinterläfst keine andere Wirkung in der Volkswirth- schäft als die des Preisunterschieds. Aber Geld braucht man auch beim Einkauf billiger Waare, und ein Land wird nicht leicht ohne Entwicklung eigener Industrie zum Wohlstand gelangen. Als eines der mächtigsten Ereignisse des ab gelaufenen Berichtsjahres wird die Ermäfsigung der Schienenpreise angeführt. Trotzdem diese Preise schon im vorigen Jahre sanken, fand das Finanzministerium die Preise immer noch zu hoch (177 •6 f. d. Tonne) und bewirkte eine Erniedrigung derselben auf 155 bis 144 •6 f. d. Tonne. Ohne Zweifel wird diese Mafsnahme einen Einflufs auf die Schienenwalzwerke ausüben und sie zwingen, dem Handelseisen mehr Aufmerksam keit zu widmen, um einen Wettbewerb auf diesem Gebiete mit Erfolg aufnehmen zu können. Die