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530 Stahl und Eisen. Berichte über Versammlungen aus Fachvereinen. 1. Juni 1898. Jedenfalls trete der Mangel einer genauen Kennt- nifs dieser gesetzlichen Belastung erschwerend zu den Kosten der bisher in England bereits vorhandenen Haftpflichtgesetzgebung und des gewöhnlichen Rechtes hinzu. Es bleibe sehr zu wünschen und sei zu hoffen, dafs die Folgen des Unfall-Entscbädigungsgesetzes nicht so einschneidend ausfallen möchten, als vielerseits geglaubt würde. Die englischen Werksbesitzer hätten nunmehr drei verschiedene Klassen von socialpolitischen Lasten zu tragen, nämlich 1. die Arbeiter - Unfallentschädigung, 2. die allgemeine Haftpflicht (Gesetz vom Jahre 1880) und 3. die Anforderungen des gemeinen Rechts. In diesen drei Klassen befinden sich folgende Ausgaben eingesetzt: 1. Generalunkosten, 2. Kosten der Einzel unfälle und 3. Kosten der grofsen Unfälle, d. h. solcher Unfälle, bei denen mehr als 5 Arbeiter zu Tode kommen. Eine territoriale, locale oder berufs genossenschaftliche Versicherung gegen die Kosten der Einzelunfälle erscheint dem englischen Vereins vorstand schwierig und zwar, weil sich bei verschie denen Zweigen, z. B. dem Kohlenbergbau, die Noth wendigkeit verschieden abgestufter Prämiensätze — je nach der Art, wie die Werke gut oder nachlässig geleitet und eingerichtet wären, ergeben würden. Es scheint — nebenbei bemerkt — den Engländern die bei dem deutschen Bergbau vorhandene Ein- theilung in Gefahrenklassen, trotz aller Würdigung der Sache, nicht recht zu behagen. Eine Versiche rung bei irgend einer grofsen Versicherungsgesellschaft dagegen wird als ebenso fraglich bezeichnet, weil man in diesem Falle nicht gegen die Kosten aufser- ordentlicher Unglücksfälle versichert würde. Jeden falls also sei die auf Gegenseitigkeit beruhende Ein richtung der Versicherung einer kapitalistischen Gründung vorzuziehen, wie denn auch in einzelnen Bezirken Englands bereits Gesellschaften dieser Art ins Leben gerufen seien. In einer grofsen, führenden Bergbauvereinigung haben die Mitglieder eine Haft pflichtersatz - Genossenschaft in Vorschlag gebracht, wobei der Austritt mit dreimonatlicher Kündigung jederzeit gestattet sein soll. In dem beregten Jahresbericht folgt sodann ein Ab schnitt, welcher die Eisenbahnfrachten behandelt. Das Gewicht steigenden Wettbewerbs des Auslands, besonders der Vereinigten Staaten — dieselben haben im verflossenen Jahre annähernd 100000 t Roheisen und 28 000 t Blöcke, Billets und Fertigstahl in den verschiedensten Formen nach England ausgeführt — läfst die Wichtigkeit der Frage billigst gestellter Eisenbahnfrachten für Englands Eisenindustrie als eine sehr ernste erscheinen. Im abgelaufenen Jahre ist allerdings keinerlei Aenderung in den Tarifen er folgt und die Association hat am bisherigen Stande derselben auch nichts ändern können. Jedoch besagt der Jahresbericht, dafs zweierlei versucht worden sei, erstens, die betheiligten Eisenbahnen Englands auf die Haushaltsprincipien der amerikanischen Bahnen hinzuweisen, wobei man empfohlen habe, Wagen gröfserer Tragfähigkeit einzuführen und dieselben aus Stahl zu bauen, und zweitens einen gröfseren Vortrag vorzubereiten über die ökonomischen Ergebnisse der letzten Jahre betreffs der Verwendung von Stahl im Eisenbahnwesen. Ein solcher Vortrag stehe dem nächst bevor. Man hoffe dadurch eine gute und auch nothwendige Einwirkung auf die öffentliche Meinung sowohl, als auch auf die englischen Eisen bahnen selbst in der Richtung einer Ermäfsigung der Frachten zu erzielen. Allerdings sei dabei nicht zu vergessen, dafs England durch Parlamentsacte den Eisenbahnen ein bestimmtes Monopol gewährt habe, auf Grund dessen das Baukapital derselben gezeichnet worden sei. Und dieses Kapital betrage jetzt eine ungeheure Summe, denn 1200 Millionen Pfund seien in Eisenbahnen angelegt und 40 Millionen Pfund in Kanälen. Sonach müssen also für die Industrie billige Tarife ermöglicht werden, ohne die Actionäre der Eisenbahngesellschaften in ihren berechtigten Inter essen zu schädigen. Nach diesen zwei Richtungen hin sei mithin zu verfahren, und, um dies zu erreichen, würde es erforderlich sein, besondere und selbstredend gröfsere Eisenbahnfahrzeuge für den Erztransport u. s. w. zu bauen, und ferner alle Holztheile des rollenden Eisen bahnmaterials durch Stahl zu ersetzen. Des weiteren müsse Werth darauf gelegt werden, möglichst niedrige Tarife für Export zu erhalten, wie solche auf dem Festlande und besonders bei dem grofsen Nebenbuhler Deutschland dem Handel und der Industrie gewährt würden.* Die wachsenden Anstrengungen des fremden Wettbewerbs — sagt der Bericht — lassen die Thätig- keit der Association auf diesem Gebiete mehr als je im gemeinschaftlichen Interesse ihrer Mitglieder nöthig erscheinen. Die britische Regierung hatte in der vorigen Parlamentssession angekündigt, dafs sie beabsichtige, eine Specialcommission nach Süd- und Centralamerika behufs Untersuchung der dortigen Handelsbedingungen auszusenden. Der Bericht dieser Commission stehe noch aus und werde selbstredend mit grofsem Interesse erwartet. Sodann geht der Bericht auf die nächsten Auf gaben für Englands Handel und Industrie über und betont, dafs die handelstüchtigsten Nebenbuhler Eng lands auf dem Weltmarkt sich durch energische Handels vereinigungen und Syndieate auszeichneten; dies gelte besonders von Deutschland, Belgien und den Vereinigten Staaten. Die „British Iron Trade Association“ müsse dementsprechend in der Folge sich besonders der Aufgabe widmen, in der Fabrik und im Geschäft möglichst vortheilhaft zu arbeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse man folgende Factoren ständig vor Augen halten, nämlich die Prüfung der Eisenbahn- und Schiffsfrachten, die Vermeidung allen Streites auf geschäftlichem Gebiete, die Aufsuchung und Eröffnung neuer Quellen zur Versorgung Englands mit Eisen erzen, die Feststellung und Bekanntgabe der geschäft lichen Ergebnisse neuer Methoden und metallurgischer Processe, Einhalt der socialistischen Bestrebungen in der Gesetzgebung, Wegräumung bezw. Erleichterung bestehender Lasten, die die Industrie bedrücken, Be seitigung wirthschaftlicher Bewegungen und fiscalischer Mafsnahmen, welche geeignet sind, Handel und Indu strie nachtheilig zu beeinflussen, Feststellung und Bekanntgabe aller Thatsachen betreffs der Vermehrung neuer Absatzmärkte, die Veröffentlichung von Handels statistiken im gröfsten Umfange und endlich die Be förderung aller Gesetzgebung im Interesse dauernder und erfolgreicher Handelsbeziehungen. Es mufs zugestanden werden, dafs mit vorstehenden Aufgaben ein recht umfangreiches Programm gestellt wird, auf .welches die Bestrebungen der „British Iron Trade Association“ gerichtet werden sollen. Auch für andere Nationen dürfte ein derartiges Vorgehen im eigenen wohlerwogenen Interesse für Handel und Industrie liegen. Ueber die weiter im Verlauf der Hauptversamm lung gehaltenen Vorträge, die das wirthschaftliche und geschäftliche Gebiet betreffen, werden wir in nächster Nummer berichten; es kommen dabei zwei Vorträge, nämlich 1. die Verwerthung des Consular- dienstes im Interesse des britischen Handels und 2. Schiffsfrachten und deren Beziehungen zu der bri tischen Eisen- und Stahlindustrie, in Betracht. (Fortsetzung folgt.) * Die Association spricht hier pro domo, befindet sich aber betreffs Deutschland in einem hellen Irrthum. Die Sache liegt bekanntlich für uns umgekehrt, wir müssen billige Frachten erhalten, um auf dem Welt markt Englands Industrie gleichzustehen. Bef.